Jesus Christus nachzufolgen bedeutet, von Jesus selbst zu lernen und so zu leben, wie er als Lehrer und Herr es vorgibt. Die ersten Nachfolger von Jesus werden in den Evangelien „Jünger“ genannt. Das bedeutet „Lernende“ oder „Auszubildende“.
Heute geschieht eine Ausbildung bei Jesus durch 1) intensives Studium der Evangelien, 2) regelmäßiges Bibellesen, 3) Reden mit Jesus im Gebet und Hören auf Jesus sowie 4) durch Erfahrungen, Gespräche und Reflexion in Gemeinschaft von Christen.
Ausbildung bei Jesus
Jesus nachzufolgen können wir vergleichen mit einer ganzheitlichen Ausbildung. Ihr Ziel ist die Gemeinschaft mit Gott selbst und das Beitragen zum Erreichen der Ziele, die Gott für diese Welt hat. Dazu gehört es auch, die Gottesebenbildlichkeit des Menschen wieder herzustellen. So hat Gott die Menschen nämlich ursprünglich gemacht.
Das Wort, das in der Bibel für die Jünger (μαθηταὶ) verwendet wird, könnte auch mit „Lernende, Auszubildende, Sich-durch-Erfahrung-Aneignende“ übersetzt werden (z. B. Matthäus 5,1). Denn genau das kann das dazugehörige Verb (μανθάνω) bedeuten. Die Jünger sind ein Paradebeispiel dafür, was es bedeutet, Jesus nachzufolgen. Deshalb schauen wir ihre „Ausbildung“ bei Jesus einmal näher an.
Wichtige Elemente ihrer Nachfolge sind:
- Jesus selbst beruft sie in seine Nachfolge (z. B. Matthäus 4,19; Markus 2,14; Johannes 1,43). Dabei beruft er nicht nur die Menschen, die augenscheinlich viele Kompetenzen mitbringen. Jesus beruft in den Evangelien auch Menschen, die nicht den besten Job haben, nicht besonders beliebt sind und kein Theologiestudium absolviert haben.
- Diejenigen, die Jesus nachfolgen, verbringen sehr viel Zeit mit Jesus. Jesus gibt ihnen vor, wo ihr Lebensmittelpunkt ist. Sie lassen Besitz, Beruf und sogar nahestehende Menschen zeitweise oder ganz zurück, sofern das für die Nachfolge notwendig ist (Lukas 9,23; Matthäus 19,27).
- Sie hören Predigten und Lehren von Jesus. Diese betreffen und verändern ihr Handeln, ihr Denken, ihr Welt- und ihr Gottesbild (z. B. Matthäus 5–7).
- Sie bekommen konkrete Aufgaben von Jesus (z. B. Evangelium vom Reich Gottes verkündigen, Dämonen austreiben, Kranke heilen). Dadurch sollen sie Fähigkeiten und Erfahrungen sammeln (Matthäus 10,8; Lukas10,9). Jesus gibt ihnen dafür Anteil an seinen Erfahrungen, seinen Kenntnissen und seiner Vollmacht.
- Jesus achtet darauf, dass sie sich auch wieder erholen und ihre Erfahrungen einordnen bzw. verstehen können (Markus 6,30-31; Lukas 10,17).
- Jesus zeigt seinen Nachfolgern im Prozess des Lernens, Übens, Scheiterns und Weitermachens zunehmend mehr, wer er selbst ist (Markus 8,27-38).
- Auch nach seinem Tod und seiner Auferstehung lehrt Jesus die Jünger nochmals. Dabei verstehen sie in besonderer Weise, was passiert ist. Er zeigt ihnen, wie die Heiligen Schriften auf ihn selbst als Messias, auf seinen Tod und seine Auferstehung hinweisen. All das macht Gottes Plan mit dieser Welt deutlich (Lukas 24,13-32.44-50; Johannes 20,24-29; Johannes 21,15-17). So bereitet Jesus die Jünger vor für die Zeit, wenn er nicht mehr leibhaftig bei ihnen ist.
- Jesus sorgt dafür, dass seine Nachfolger den Heiligen Geist empfangen (Johannes 16,13). Dieser leitet sie als Beistand und gibt ihnen in Situationen der Verfolgung die richtigen Worte ein (Johannes 14,26). Außerdem befähigt er sie zeitweise, wie z. B. an Pfingsten, das Evangelium auch in anderen Sprachen zu verkündigen (Apostelgeschichte 2,1-11).
Wie Nachfolge heute aussieht
Heute ist es lange her, dass Jesus auf der Erde gelebt hat. Das verändert die Art der Nachfolge. Aber Jesus ist auferstanden und lebt. D. h., er wirkt selbst weiter, aber durch andere „Mittel“.
- Er lehrt seine Nachfolger durch das Zeugnis derjenigen, die Jesus als irdische Person miterlebt haben. Unser Zugang zu diesem Zeugnis sind die Heiligen Schriften (Lukas 1,1-4). Besonders in den Evangelien können wir Jesus kennenlernen. Deswegen lohnt sich das intensive Studium der Evangelien: Wie geht Jesus mit anderen Menschen um? Wie redet er mit besonders „Frommen“, wie mit besonders „Gottlosen“? Welche Gewohnheiten pflegt Jesus? Wie redet Jesus über Gott? Wie redet er über sich selbst? Welche Aufgaben gibt er seinen Nachfolgern? Wie erklärt er sein eigenes Sterben und Auferstehen? Wie versteht und interpretiert er die Heiligen Schriften?
- Die Bibel enthält Schriften von Zeugen, die Jesus live miterlebt haben. Sie ist aber auch als Ganze das „Mittel“, durch das Gott selbst am meisten spricht. Deswegen ist es ratsam, regelmäßig fortlaufend die Bibel zu lesen. Neben den Evangelien gibt es z. B. auch alttestamentliche Texte, die auf Jesus hinweisen (Jesaja 52,13–53,12). Oder andere Texte wie die Paulusbriefe, die z. B. die Bedeutung des Todes von Jesus für seine Nachfolger erklären (Römer 6,4).
- Jesus ist nicht tot, sondern er ist auferstanden und lebt. Es ist möglich, im Gebet mit ihm zu sprechen und auf ihn zu hören. Dafür kann man Jesus direkt ansprechen, Fragen stellen oder eigene Gedanken mitteilen. Auf Jesus zu hören bedeutet, Gedanken, Bilder oder Ideen zu empfangen oder zu bemerken. Diese entsprechen dem Wesen Gottes und der biblischen Lehre und sollen geprüft und dann ggf. umgesetzt werden. Jesus kann auch hörbar sprechen oder Menschen in Träumen begegnen. Das ist aber in Mitteleuropa eher die Ausnahme.
- Jesus hat von Anfang an auf ein Kollektiv von Nachfolgern gesetzt (Matthäus 10,2; Lukas 10,1). Paulus spricht später davon, dass alle zusammen, die an Jesus glauben und getauft sind, den Leib von Jesus Christus bilden (1. Korinther 12). Das bedeutet: Jesus selbst wirkt und handelt durch seinen Leib, also die Kirche im theologischen Sinn. Jesus arbeitet von Anfang an darauf hin, dass seine Nachfolger lernen, üben und verinnerlichen, was er tut und tun will. Er legt sozusagen einen Teil von sich in sie hinein, indem er sie lehrt, mit ihnen übt, sie durch seinen Tod erlöst und sie durch die Gabe des Heiligen Geistes neu macht. Im Bild gesprochen: Jesus formt seine Nachfolger als ein Jesus-Kollektiv. Sie zusammen bilden den Leib, durch den Jesus weiterhin das bewirkt, was er auch als irdische Person getan hat (Apostelgeschichte 1,8). Deswegen sind alle, die Jesus nachfolgen, automatisch miteinander verbunden. Eine Herausforderung der Nachfolge ist es, diese Verbindung anzunehmen und so zu leben,dass man diesem Leib Ehre macht (Römer 12,3-8).
Konkrete Nachfolge-Schritte für Christen heute
- Studiere die Evangelien mit Blick auf Jesus.
- Sage Jesus im Gebet, dass du ihm ernsthaft nachfolgen möchtest.
- Frage nach deiner persönlichen Berufung bzw. deinem Auftrag von Jesus. Leite die notwendigen Schritte in die Wege, um diese Berufung zu erfüllen. Übrigens ist es wichtiger, mittel- und langfristig den richtigen Weg entschieden zu gehen, als schnelle Aktionen zu starten, die früh versanden.
- Nimm deinen Platz im Leib Christi ein: Suche dir eine Gemeinde oder einen anderen Dienstbereich, wo du deine Gaben so einbringen kannst, wie es Jesus dir aufgetragen hat.
- Suche dir eine Gemeinschaft von Jesus-Nachfolgern, mit denen du deine Erfahrungen reflektieren kannst. Sie können dich ermutigen und auch korrigieren und ihr könnt zusammen beten.
- Etabliere gesunde Gewohnheiten, die Jesus entsprechen und deine Nachfolge fördern, wie z. B. : a) regelmäßiges Bibellesen, b) regelmäßiger persönlicher Austausch mit Jesus, c) Lobpreiszeiten, d) regelmäßig wiederkehrende Zeiten, in denen du eine aktuelle Standortbestimmung in Blick auf deine Berufung machst, e) einen Tag in der Woche als Tag des Herrn und Ruhetag, f) regelmäßiger Gottesdienstbesuch, g) Mitarbeit im Reich Gottes an einer konkreten Stelle, die deinen Gaben entspricht, h) fasten, i) Zeiten der Stille, ...
Marius Haile