Wer war die Familie von Jesus Christus?

Kurze Antwort

Gott hatte entschieden, in der Person von Jesus richtig Mensch zu werden. Also wurde Jesus Teil einer Familie: Maria brachte ihn zur Welt (Lukas 2,5-7), Josef wurde sein (Adoptiv-)Vater (Lukas 3,23; Lukas 4,22). Es werden auch vier Brüder namentlich sowie mehrere Schwestern erwähnt (Matthäus 13,55-56). Zumindest die Brüder waren nicht immer einverstanden mit dem, was Jesus sagte und tat (Johannes 7,3-5). Das änderte sich jedoch nach seiner Auferstehung.

Auf manchen mittelalterlichen Gemälden hält Jesus auffällig zwei Finger vor sich. Das könnte das Victory-Zeichen V sein, das den Auferstandenen als den Sieger über den Tod darstellt. Von den Malern war es aber vor allem als Bekenntnis zur sogenannten Zwei-Naturen-Lehre gemeint. Das bedeutet: Jesus war zugleich Gott und Mensch. Er gab sich ganz hinein in unsere Lebenswelt, kannte Schmerzen, Trauer und Freude wie wir. Er hatte Freunde und auch Feinde, die ihn zu beseitigen suchten. Und er wuchs im sozialen Verband einer Familie auf, über die wir leider nur wenig wissen. Tragen wir die bekannten Fakten einmal zusammen. 

 

Maria und Josef 

Maria, die Mutter von Jesus, könnte nach damaliger Sitte zwischen 15 und 20 Jahre alt gewesen sein. Sie lebte in dem Gebirgsort Nazaret (Lukas 1,26) in der Landschaft Galiläa, ca. 100km Luftlinie nördlich von Jerusalem. Möglicherweise stammte sie aus priesterlicher Familie. Maria war (wie damals üblich) dem Bauhandwerker Josef versprochen (Matthäus 13,55; Lukas 2,5). D.h. die Ehe war fest vereinbart, aber noch nicht vollzogen.  

Josef war ein Nachkomme des israelitischen Königs David (Lukas 2,4) aus dem Stamm Juda (Lukas 3,33) mit familiären Wurzeln und vielleicht auch Grundbesitzanspruch in Betlehem (Lukas 2,4). Der Evangelist Matthäus beschreibt ihn als gerecht(Matthäus 1,19). Dennoch bekam er offenbar, als Maria ihm ihre einzigartige Schwangerschaft mitteilte, kalte Füße und dachte über eine Trennung nach, die nach jüdischem Recht damals recht einfach zu erreichen war. Ein Engel Gottes klärte ihn aber über das auf, was mit Maria geschehen war. Daraufhin besann Josef sich eines Besseren und nahm Maria ganz offiziell zu sich (Matthäus 1,20-24). Damit galt er in den Augen seiner jüdischen Zeitgenossen als Vater von Jesus (Lukas 3,23; Lukas 4,22; Johannes 1,45).  

Dass Josef vor seiner Ehe mit Maria bereits verheiratet gewesen war und es aus dieser Ehe Kinder gab, die dann für Jesus ältere Stiefgeschwister gewesen wären, ist unsicher. Josef wird nach den Ereignissen in Lukas 2,41-52 in den Evangelien nicht mehr erwähnt und Jesus wird in Markus 6,3 entgegen damaliger Gewohnheit als Sohn von Maria bezeichnet. Deshalb darf man davon ausgehen, dass Josef relativ früh starb 

 

Halbbrüder und Halbschwestern von Jesus 

Treffen diese Annahmen zu, dann handelt es sich bei den z.B. in Markus 6,3 erwähnten Brüdern Jakobus, Joses/Josef, Judas und Simon und den wiederum nach damaliger Sitte namentlich nicht genannten Schwestern um Halbgeschwister von Jesus, also um gemeinsame eheliche Kinder von Josef und Maria. Diese Rekonstruktion entspricht nicht der traditionellen römisch-katholischen Lehre von der ewigen Jungfrauschaft Marias. Nach diesem Verständnis der biblischen Texte wären diese erwähnten Geschwister lediglich nahe Verwandte. Naheliegender und deshalb überzeugender ist jedoch die Annahme, dass es jüngere Halbgeschwister von Jesus gab, die teilweise in der frühen Christenheit eine Rolle gespielt haben (Jakobus, Judas). 

 

Religiöse Sozialisation 

Nach den uns verfügbaren Informationen lebten die Eltern von Jesus ihren lebendigen jüdischen Glauben in einem religiös traditionell-konservativen Milieu. Darauf deuten die Kontakte, die vor allem Maria zu Priesterfamilien hatte (Lukas 1,39-56; Lukas 2,25-39), sowie ihre Loblieder hin. Aber auch ihre Einhaltung der im Lebenslauf einer jungen Mutter bzw. eines jüdischen Jungen damals vorgeschriebenen Rituale (die kultische Reinigung Marias in Lukas 2,22; Beschneidung von Jesus in Lukas 2,21; Darstellungin Lukas 2,27) sowie ihre (häufige) Anwesenheit im Tempel (Lukas 2,41) sprechen dafür. 

 

Muttersprache 

Die in der Familie gesprochene Sprache war mit großer Wahrscheinlichkeit aramäisch. In Galiläa wie in ganz Israel spielte aber auch das Griechische im alltäglichen Umgang eine wichtige Rolle, zumal für eine Handwerkerfamilie mit ihren vielen Kontakten zu wechselnden Kunden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass zumindest Jesus und seine Brüder sich auch griechisch verständigen konnten. Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil die in gutem Griechisch verfassten Jakobus- und Judasbriefe den beiden gleichnamigen Brüdern von Jesus zugeschrieben werden (s.u.). In seiner späteren Leitungsfunktion in der Gemeinde hat Jakobus vermutlich ebenfalls die griechische Sprache gebraucht 

 

Distanz und Nähe 

Die Halbgeschwister von Jesus waren sicher über das ungewöhnliche Wesen ihres ältesten Bruders informiert. Dennoch gehörten zumindest seine Brüder vor Ostern nicht unbedingt zu seinem Fan-Club. Es spricht für die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien, dass nicht beschönigt oder verschwiegen wird, wie distanziert die Führungspersönlichkeiten der frühen Christenheit Jesus gegenüber zweitweise waren. Mitsamt ihrer Mutter Maria wollten sie nicht nur mit Jesus reden (Markus 3,31-35), sondern sie wollten ihn mit Gewalt dort wegholen, weil sie sagten: Er ist verrückt geworden (Markus 3,21). Ebenso wird erwähnt, dass seine Brüder nicht an ihn glaubten und vor allem mit seiner abwartenden Haltung offenbar nicht einverstanden waren (Johannes 7,3-5).  

 

Die Herrenbrüder Jakobus und Judas in der frühen Gemeinde 

Dies änderte sich wohl zumindestfür Jakobus und Judas mit der Erfahrung der Auferstehung an Ostern. Petrus musste Jerusalem kurz darauf wegen staatlicher Verfolgung verlassen (Apostelgeschichte 12,17) und König Herodes Agrippa I. ließ Jakobus, den Sohn des Zebedäus und Bruder des Johannes, enthaupten (Apostelgeschichte 12,2). Damit ging die Leitungsverantwortung für die Jerusalemer, aber auch für die bereits bestehenden christlichen Gemeinden außerhalb der Stadt von Petrus an den sogenannten Herrenbruder Jakobus über (in Apostelgeschichte 12,17 wird er ausdrücklich genannt). Bei der Apostelversammlung, als es um die Einheit der Gemeinde aus Juden- und Heidenchristen ging, machte er den entscheidenden Kompromissvorschlag (Apostelgeschichte 15,13-21). Für den bekannten Missionar Paulus war Jakobus neben Petrus erster und wichtiger Ansprechpartner (Galater 1,19; Galater 2,9). Judenchristen, welche die gesetzesfreie Heidenmission des Paulus zu torpedieren versuchten, beriefen sich auf Jakobus (Galater 2,12). Auch in dem von ihm verfassten Jakobusbrief schimmert die Verantwortung für die Judenchristen außerhalb des Israel-Landes durch. Judas, der andere Herrenbruder, bezog sich in seinem Brief ebenfalls auf Jakobus (Judas 1).  

Tragisch ist das Ende des irdischen Lebens von Jakobus: Er wurde wohl auf Betreiben des damals amtierenden Hohenpriesters Hannas vom Hohen Rat zum Tode durch Steinigung verurteilt. Nach anderen Berichten wurde er von einer hohen Zinne des Jerusalemer Tempels gestürzt und dann erschlagen. Dies war möglich, weil im Jahr 62 die Stelle des römischen Statthalters in der Provinz Judäa gerade unbesetzt war. 

 

Die Texte der beiden Herrenbrüder 

Obwohl der Autor Judas selbst (wie sein Bruder Jakobus!) sich in seinem Brief nicht auf die verwandtschaftliche Verbindung zu Jesus bezieht, kann man doch davon ausgehen, dass der Judasbrief von ihm stammt. Wie Jakobus in dessen Brief nimmt auch er darin seelsorglich-leitend seine Verantwortung für eine Gemeinde in schwierigem Konflikt wahr. Der Judasbrief erlaubt zudem einen tiefen Einblick in die Frömmigkeit der Familie von Jesus. Beim Jakobusbrief liegt der Akzent in erster Linie im weisheitlich-seelsorglichen Bereich. Im Judasbrief bilden sich dagegen noch Erinnerungen an die jüdisch-apokalyptische Spiritualität ab. Etwa indem eine Stelle aus der äthiopischen Henoch-Tradition aufgenommen wurde, aus Texten also, die auch von Judenchristen als Erbauungsliteratur genutzt wurden. Beide Briefe dürften wenige Jahre vor Ausbruch des jüdischen Aufstands gegen die Römer, also vor 66n.Chr., entstanden sein. 

 

Eine Anekdote, die viel sagt 

Die Nachfahren der Jesus-Brüder spielten in der frühen Christenheit eine Rolle. Selbst die römische Staatsmacht fürchtete Jahrzehnte später ihren Einfluss. Das zeigt ein Bericht des Schriftstellers Hegesipp (Mitte 2. Jh.n.Chr.), überliefert in der Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea (h.e. 3,20,1-6). Demnach wurden während der Regierung von Kaiser Domitian (8196 n.Chr.) zwei Enkel des Herrenbruders Judas dem Kaiser vorgeführt. Als Nachfahren von König David waren sie in seinen Augen offensichtlich potenzielle Konkurrenten für ihn. Er befragte sie nach ihrer Herkunft, ihrem Landbesitz und ihrem Vermögen, aber auch nach Jesus und seinem Reich. Als sie ihm schließlich die Schwielen an ihren Händen zeigten, die sie als einfache Bauern auswiesen, verachtete Domitian sie und ließ sie laufen. 

 

Dr. Heinz-Werner Neudorfer

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Geändert am: 06.02.2024

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