Nachdem die Menschheit sich von Gott unabhängig erklärt hat (1. Mose 3,5) und bis heute eigenwillig lebt (durch Übertretungen von Gottes Geboten), hat sie ihr Anrecht auf ein ewiges Leben verloren (Römer 3,23; 6,23). Gott bietet trotzdem durch Jesus Rettung an. Doch das ist reine Gnade (Epheser 2,8-9).
Wer sichergehen will, dass niemand verloren geht, setzt sich dafür ein, dass andere von Jesus erfahren.
Wer so fragt, geht gewöhnlich davon aus, dass Menschen durch den Glauben an Jesus in den Himmel kommen. An Jesus glauben können aber nur Menschen, die vorher von Jesus gehört haben. Was also passiert mit Menschen, die nie etwas von Jesus Christus erfahren?
Die Motivation, warum Menschen diese Frage stellen, kann ganz unterschiedlich aussehen. Ich erinnere mich an eine junge Frau, die in Asien geboren und nach Deutschland gekommen war. Ihre Familie war einer anderen Religion gefolgt. Sie selbst hatte jedoch in Deutschland zum Glauben an Jesus Christus gefunden. Nun fragte sie sich, was aus ihren verstorbenen Eltern würde, die Jesus nie kennengelernt hatten. Sie stellte die Frage nach dem ewigen Schicksal von Menschen, die nie etwas von Jesus gehört haben, aus persönlicher Betroffenheit heraus. Die Frage war für sie dann in der Vergangenheitsform gestellt („nie etwas gehört haben“).
Für andere ist die Frage nur ein theoretisches Gedankenspiel. Es betrifft sie nicht persönlich. Für sie ist es eher der Versuch, sich mit christlichen Vorstellungen auseinanderzusetzen, vielleicht sogar kritisch.
Doch zunächst einmal: Was können wir machen, wenn uns die Frage aus persönlicher Betroffenheit heraus interessiert? – Wenn wir uns Gedanken um verstorbene Angehörige machen, so können wir an ihrer Situation nichts mehr verändern. Sie stehen bereits vor ihrem Schöpfer. So bleibt uns letztlich nichts anderes übrig, als sie loszulassen. Wir können für sie nur auf die Gerechtigkeit Gottes vertrauen. Dabei können wir uns vor Augen führen, dass Gott gut und gerecht ist und nicht willkürlich urteilt. Doch wir sollten uns nicht innerlich an Tote klammern, für die wir nichts mehr tun können. Stattdessen ist es unsere Aufgabe, uns auf die Lebenden zu konzentrieren. Das können beispielsweise Geschwister, Ehepartner oder Freunde sein. Wir können für sie beten und sie zum Glauben an Jesus einladen.
Und wie ist es, wenn uns die Frage interessiert, weil wir den christlichen Glauben verstehen wollen? – Nun, zu unserer Frage liefert uns die Bibel keine theoretische Abhandlung. Sie gibt uns aber ein paar Anhaltspunkte, die wir uns im Folgenden anschauen wollen:
1. Es ist nur konsequent, wenn der Mensch die Strafe für seine Schuld trägt (Die völlige Verlorenheit des Menschen)
Mir ist schon sinngemäß folgender Vorwurf begegnet: „Wenn Menschen verloren gehen, weil sie nicht von Jesus gehört haben, dann ist das unfair. Sie können doch nichts dafür, dass sie nichts von Jesus wussten.“ Hinter dieser Aussage steht die Annahme, dass wir ein Recht darauf hätten, von Jesus zu hören und gerettet zu werden. Das Problem ist allerdings, dass dabei die Ausgangssituation des Menschen verkannt wird. Die Menschheit besitzt kein Recht darauf, dass Gott ihr überhaupt eine Rettungsmöglichkeit anbietet.
Beim sogenannten Sündenfall bei Adam und Eva hatte sich die Menschheit von Gott unabhängig erklärt (1. Mose 3,1-7). Die Menschen hatten gemeint, alles selbstständig in die Hand nehmen zu können („wie Gott sein“, 1. Mose 3,5). Die Konsequenz hatte Gott ihnen für so einen Fall im Voraus angekündigt: den Tod (1. Mose 2,17).
In der Tradition ihrer Ureltern lebt nun die gesamte Menschheit noch heute diese Unabhängigkeit von Gott und geht ihren eigenen Weg. In unendlich vielen Einzelentscheidungen, die dem Willen Gottes widersprechen, zeigt sich das im Leben jedes einzelnen Menschen ganz praktisch: Menschen lügen, begehen Ehebruch, hegen Groll, beleidigen einander, reden schlecht vom anderen oder tun eines der vielen anderen Dinge, die den Vorstellungen Gottes widersprechen. Damit trifft auf jeden Menschen zu, was der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt: „Alle sind schuldig geworden und haben keinen Anteil mehr an der Herrlichkeit Gottes.“ (Römer 3,23)
Und alle Menschen müssen damit auch die Konsequenzen für ihr Handeln tragen: „Denn der Lohn der Sünde ist der Tod.“ (Römer 6,23a)
Die Menschheit hat also durch ihre anfängliche Entscheidung und individuelle Lebenspraxis ihr Leben verwirkt. Keiner hat ein Anrecht darauf, dass Gott ihn rettet. Wer Gerechtigkeit für Menschen fordert, der muss eigentlich ein Ja dazu haben, dass jeder Mensch die gerechte Strafe für sein Fehlverhalten erhält. Kein Mensch hat ein Anrecht darauf, dass Gott ihn vor dem selbst verschuldeten Urteil verschont.
2. Die Menschheit hat also kein Anrecht auf Rettung. Es ist pure Großzügigkeit Gottes, dass wir bis heute leben.
Eigentlich ist es nur Gnade, dass wir überhaupt noch weiter bestehen. Das erkannte schon der Prophet Jeremia, der die Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier miterlebte. Er war sich bewusst, dass sein Volk sich das Leid (eine Strafe Gottes für ihren Ungehorsam) selbst zuzuschreiben hatte. Und er stellte fest: „Ja, seine Güte hört nicht auf. Sein Erbarmen hat noch lange kein Ende.“ (Klagelieder 3,22)
Das ist das Faszinierende an Gott: Er hat der Menschheit bis heute immer wieder eine Chance gegeben. Schon Adam und Eva fielen nicht sofort tot um, als sie eigenwillig und unabhängig von Gott ihren Lebensweg wählten und von der verbotenen Frucht aßen (1. Mose 3,6-7). Sie wurden sterblich (1. Mose 3,19), aber starben nicht augenblicklich. Auch bei der Sintflut ließ Gott die Menschheit weiter bestehen und gab ihr eine gewisse Bestandsgarantie (1. Mose 8,21-22). Bis heute fragen sich Menschen, warum Gott bei Unrecht nicht durchgreift. Sie meinen damit gewöhnlich das Unrecht, das andere tun. Sie übersehen dabei, dass Gott konsequenterweise auch in ihrem eigenen Leben alle Vergehen ahnden müsste. Es gehört aber zu Gottes Großzügigkeit, dass er allen von uns noch eine Gnadenfrist gibt. Eine Chance, um unser Leben zu ändern. Entgegen dem, was wir verdient haben, bietet Gott großzügigerweise eine Rettung an (Epheser 2,8-9).
3. Jeder kann von Gott wissen: Gott offenbart sich in seiner Schöpfung (Die allgemeine Offenbarung)
„Aber“, könnte man nun einwenden, „woher hätte ich heute wissen sollen, dass es einen Gott gibt und dass mein Leben seinen Vorstellungen widerspricht? Ich bin ja nicht Adam und habe Gott getroffen.“ Hier sind die Voraussetzungen für Menschen natürlich unterschiedlich. In der westlichen Welt ist der christliche Glaube seit Jahrhunderten bekannt. Jeder, der will, kann sich eine Bibel besorgen und sich mit den christlichen Vorstellungen auseinandersetzen.
Aber im Römerbrief ging Paulus auch auf den Fall ein, dass Menschen den biblischen Gott gar nicht kennen. Er verweist darauf, dass die Menschen eigentlich in der Schöpfung einen Hinweis auf den Schöpfer vorfinden (Römer 1,20). In ihrem Gewissen haben sie zumindest in einem bestimmten Maße einen Anhaltspunkt für Gottes Vorstellungen (Römer 2,14-16). Im Prinzip hätte also jeder Mensch Grund, von der Existenz Gottes auszugehen. Und er hätte eine gewisse Ahnung von dem, was Gott von uns will.
4. Gerettet werden die Menschen nur durch Jesus (Das Evangelium als einziger Rettungsweg)
Obwohl die Menschheit es nicht verdient, hat Gott sich der Menschheit persönlich offenbart. Er tat das zum einen durch ein nationales Modellprojekt: Vor aller Welt schrieb er demonstrativ mit einem Volk Geschichte. Die anderen Völker konnten an Israel und an Gottes Geschichte mit diesem Volk das Wesen Gottes ablesen (z. B. Josua 2,9-10). Ihren Höhepunkt erreichte die Offenbarung Gottes zweifelsohne in der Person von Jesus (Hebräer 1,1), indem Gott in Jesus Mensch wurde (Johannes 1,1.14). Mit Jesus offenbarte sich Gott nicht nur der Welt, sondern bot ihr einen Rettungsweg. Jesus hat stellvertretend die Todesstrafe erlitten, die jeder Mensch eigentlich verdient hätte (Markus 10,45). Deshalb starb er auf Golgatha. Mit Jesus kann Gott dem Menschen ein völlig neues Leben anbieten. Dabei handelt es sich jedoch um ein Geschenk, das vertrauensvoll angenommen werden muss. Dieses neue Leben hat mehrere Facetten:
- Vertraut jemand Jesus, so kommt Jesus für die Schuld seines Lebens auf. Jesus schreibt uns Menschen quasi seinen Tod auf Golgatha zur Deckung unserer Schuld gut (Epheser 1,7).
- Damit ist das Verhältnis zu Gott geklärt. Der Bruch zwischen Gott und Mensch, der seit dem Sündenfall bestanden hatte, ist überwunden. Wer Jesus vertraut, wird zu einem Kind Gottes (Johannes 1,12).
- Damit wird der Mensch freigesetzt, um mit der Kraft Gottes ein alternatives Leben nach Gottes Vorstellungen zu führen. Echte Christen haben durch den Heiligen Geist ein Verlangen danach, den Willen Gottes immer mehr zu tun (Galater 5,22-23). Natürlich sündigen auch Christen. Aber sie werden die Sünde nicht auf Dauer in ihrem Leben dulden, sondern bei Gott Vergebung dafür suchen (1. Johannes 1,9; 2,3).
- Und schließlich ist mit Jesus auch der Tod endgültig überwunden. Wer Jesus vertraut und jetzt mit ihm lebt, wird einmal ewig mit Jesus zusammen sein (Johannes 5,24).
Aber all das hängt an der Person von Jesus und daran, dass Menschen ihm vertrauen. Es liegt eigentlich in der Natur der Sache: Wenn in Jesus Gott selbst Mensch geworden ist, dann führt seit seinem Kommen kein Weg an Jesus vorbei. Wer Jesus ablehnt, lehnt Gott selbst ab (1. Johannes 2,23; Johannes 15,23). Jesus hat von sich gesagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Es gibt keinen anderen Weg zum Vater als mich.“ (Johannes 14,6)
Aber wie gesagt: Dieses Rettungsangebot durch Jesus ist nichts, worauf die Menschen Anspruch hätten. Es ist reine Gnade Gottes.
5. Gott berücksichtigt bei seinem Urteil das Vorwissen von Menschen.
Und trotzdem ist sich Gott durchaus bewusst, dass Menschen unterschiedliche Vorrausetzungen haben und hatten. Jesus drückte das einmal sehr plakativ aus. Er klagte darüber, dass einige Orte so viele Wunder von ihm gesehen hatten, ohne ihn als Retter anzuerkennen. Er erklärte, dass die Menschen mit besseren Voraussetzungen am Ende ein strengeres Urteil erwartet: „Wehe dir, Chorazin! Wehe dir, Betsaida! Wären in Tyrus und Sidon die Wunder passiert, die ich bei euch vollbracht habe: Die Menschen hätten schon längst den Sack angelegt. Sie hätten sich Asche auf den Kopf gestreut und ihr Leben geändert. Aber ich sage euch: Der Tag des Gerichts wird für Tyros und Sidon erträglicher sein als für euch.“ (Matthäus 11,21-22)
Die Schlussfolgerung und ein Auftrag
Wir können zusammenfassen: Kein Mensch besitzt ein Anrecht auf das ewige Leben. Das betrifft auch Menschen, die nie von Jesus gehört haben. Die Menschheit hat sich das ewige Leben verspielt, indem sie sich gegen Gott wandte und bis heute in dieser Auflehnung lebt. Wenn Gott trotzdem Menschen rettet, ist das pure (unverdiente) Gnade. Trotzdem wird Gott beim sogenannten Endgericht, der letzten Gerichtssitzung über die Menschheit, das Vorwissen der Einzelnen berücksichtigen.
Es ist leicht, Gott anzuklagen, dass es unfair sei, wenn Menschen verloren gehen, ohne von Jesus gehört zu haben. Wenn uns diese Frage aber wirklich am Herzen liegt, dann werden wir das Herzensanliegen Gottes zu unserem eigenen machen. Es wird uns wichtig sein, dass Menschen von Jesus hören und deshalb die Chance auf Rettung bekommen (Römer 10,14). Gott hat eigentlich das Anliegen, dass alle Menschen ihn kennenlernen (1. Timotheus 2,4). Entsprechend hat die weltweite Gemeinde die Aufgabe, allen Nationen die Gute Nachricht von Jesus zu verkünden (Matthäus 28,18-20). Diesen Auftrag kann jeder auf die eine oder andere Weise unterstützen: durch Gebet (vgl. Kolosser 4,3), finanzielle (vgl. Philipper 4,15) oder praktische Unterstützung oder durch einen eigenen Missionseinsatz (vgl. Apostelgeschichte 13,2). Darüber hinaus sind alle Christen gefragt, in ihrem Wirkungskreis den Glauben an Jesus glaubwürdig zu leben. Damit geben sie ihren Mitmenschen die Gelegenheit, darüber ins Nachdenken über Jesus zu kommen und Glaubensfragen zu stellen (Philipper 2,15; 1. Petrus 2,12).
Holger S. Hinkelmann, Theologe