Was heißt es, sich für Jesus Christus zu entscheiden?

Kurze Antwort
Sich für Jesus Christus zu entscheiden heißt, ihm zu folgen und sein Leben nach seinen Lehren auszurichten. Es bedeutet, ihn als Herrn anzuerkennen und alte Wege hinter sich zu lassen. Glaube ist immer ein Geschenk Gottes. Die Entscheidung für Jesus ist eine Antwort auf Gottes Ruf.

Der Ausdruck „Ich habe mich für Jesus entschieden“ kann aber aus verschiedenen Gründen missverstanden werden. Deshalb werden in der Bibel meist andere Begriffe dafür verwendet.

Manche wundern sich vielleicht: Was, bitteschön, soll denn an diesem Satz nicht gut sein? „Ich habe mich für Jesus entschieden.“ Der Satz ist doch völlig in Ordnung. Neulich sagte jemand zu mir: „Dieser Satz – der ist doch fast ein evangelikales Sakrament!“ Und man sollte doch, so denken vielleicht manche, froh sein, wenn ihn heute jemand ehrlich aussprechen kann. Ein klares Bekenntnis zu Jesus – warum daran herummäkeln?

 

Ich will an diesem Satz nicht herummäkeln. Aber ich will zeigen, dass dieser Satz eine starke Seite hat und eine schwache. Wenn wir ihn aussprechen, dann sollten wir uns bewusst sein, dass er diese beiden Seiten hat. Bewusst sollte uns das sein, weil unsere Worte wirken. Und manchmal wirken sie eben anders als wir denken, manchmal besser, manchmal schlechter. Sie haben Nebenwirkungen. Deswegen sollten wir auf sie achthaben. Deswegen sollten wir auch bekannte, durchaus bewährte Sätze aus dem Vorrat unseres Glaubens immer wieder einmal hervorholen und neu bedenken. Es wäre spannend, einmal zu überlegen, welche Aussagen wir wie selbstverständlich zu unserem Vorrat an Glaubenssätzen dazugelegt haben, ohne dass wir uns jemals einen Kopf darum gemacht haben, ob sie wirklich biblisch gedeckt sind. Man könnte an Sätze denken wie: „Ich will den Partner heiraten, den Gott für mich ausgesucht hat.“, „Gott hat einen Plan für mein Leben.“, „Gott will, dass ich glücklich bin.“, etc.

 

Aber jetzt zu dem Satz mit der „Entscheidung“.

 

Was ist gut an diesem Satz?

Jesus und ich in ein und demselben Satz – das ist eine Stärke dieses Satzes. Jesus kam, um Menschen zu „fischen“. Er kam, um Menschen an sich zu binden. Er kam nicht, um uns aus vornehmer Distanz irgendwelche hilfreichen, lebensdienlichen Hinweise zu geben. Er sprach zu Menschen und forderte sie auf, ihm nachzufolgen. Deshalb gehören er und ein Mensch, der an ihn glaubt, in ein und denselben Satz. Wenn wir lange über ihn reden, ohne dass wir vorkommen, oder lange über uns, ohne dass er vorkommt, dann stimmt etwas nicht.

 

Der Satz ist zudem ein persönliches Bekenntnis zu Jesus. Auch das ist seine Stärke: Bekenntnisse gehören notwendig zum Glauben. Sie machen unseren Glauben vor anderen kenntlich. Wer ist mein Herr? Wenn ich sage, dass ich mich für Jesus entschieden habe, dann bekenne ich: Mein Herr ist Jesus Christus. Kein anderer. Glaube ist nichts Unklares. Wir können und müssen sagen, was und an wen wir glauben.

 

„Ich habe mich entschieden“: Im Wort „entscheiden“ steckt auch, dass jemand nun etwas Neues will und etwas Altes nicht mehr. Den Jesusweg will er gehen, also glauben, was Jesus verheißen hat, und tun, was Jesus geboten hat. Vom anderen Weg aber hat er sich „geschieden“. Die deutsche Sprache kennt nicht umsonst auch die Worte „Scheideweg“ oder „Wegscheide“. Das bedeutet, dass sich durch den Glauben der Wille eines Menschen geändert hat. Auch das ist eine starke Seite dieses Satzes. Der Glaube an Jesus spricht meinen Willen an: Was willst du, fragt Jesus den blinden Bartimäus, dass ich für dich tun soll? (Markus 10,51)

 

Kurz eine Randbemerkung für die theologischen Spezialisten, die sich jetzt vielleicht schon ganz unruhig gefragt haben, ob der Verfasser nun den „freien Willen“ anhängt oder, in der Tradition der Reformatoren, dem „unfreien Willen“. Ich bekenne mich zu letzterem. Aber selbst dann geht es im Glauben immer noch um den „Willen“ eines Menschen, frei oder unfrei, es geht um das, was das Herz eines Menschen bewegt.

 

Was ist nicht gut an diesem Satz?

Die Formulierung hat einen falschen Zungenschlag: Ich habe mich entschieden! Warum falsch? Denken Sie einmal nach: Wo sprechen wir diesen Satz sonst noch? Wir sprechen ihn im Fahrradladen, in der Eisdiele, bei H&M. Wir sprechen ihn, wenn wir uns auf irgendeinem Kongress zwischen 50 Nachmittagsseminaren entscheiden mussten. Wir sprechen ihn, wenn wir beim Chinesen über einer Speisekarte gesessen haben, wenn wir uns bei Netflix endlich auf einen Film geeinigt haben, usw. Ich habe mich entschieden. Wir wählen aus einem Angebot aus und nehmen, was uns zusagt. Bei Jesus aber passt das nicht. Er ist der Herr, kein Warenangebot. Für den Herrn entscheidet man sich nicht. Er ruft und wir beugen uns. Dass er der Herr ist, kein Angebot, das kann mit diesem Satz undeutlich werden. Denn da kann es sich so anhören, als ob wir im Mittelpunkt stehen, wir, die Entscheider.

 

Das ist eine Schwäche des Satzes. Eine andere ist, dass die Rede von der Entscheidung keine biblische Rede ist. Damit will ich nicht sagen, dass jeder Satz, den wir im Glauben sprechen, auch genauso, mit dieser Formulierung, in der Bibel vorkommen muss. Und doch ist es wichtig, den Zungenschlag der Bibel zu lernen, gerade in so wichtigen Dingen wie unserer eigenen Jesusbeziehung. Paulus hat sich nicht für Jesus „entschieden“, auch nicht Petrus, Johannes oder Jakobus. Keiner hat Kataloge über religiöse Anführer gelesen und sich dann für diesen Jesus auf Seite 376 „entschieden“. Die Geschichte war immer so: Jesus rief und sie folgten.

 

Ein weiterer problematischer Aspekt: Über getroffenen Entscheidungen kann man auch wieder unsicher werden. Habe ich mich richtig entschieden? Habe ich mich ernst genug entschieden? Ist meine Entscheidung noch kräftig genug oder wird sie schon schwächer? Muss ich mich nochmal entscheiden? Reicht's denn? Wenn man einmal an diesem Punkt ist, werden andere Sätze wichtig. Sätze, die mir sagen, dass nicht ich mich in den Himmel bringen kann (sozusagen selbst „hineinentscheiden“), sondern diese Aufgabe bei Jesus eigentlich in ganz guten Händen ist. Dann muss jemand unseren Blick von uns selbst weglenken und uns zeigen, was Jesus getan hat.

 

Zuletzt spricht der Satz vom Menschen so, als ob es klare Sache wäre, dass er die Macht hat, sich selbst entscheiden zu können. Ist das aber so klar? Viele Christen haben in ihrem Glauben lernen müssen, dass sie für alles, was sie sind und haben, eben auch für ihren Glauben, danken müssen. Sie haben nichts von sich aus dazugetan, auch keine eigene Entscheidung. Dass sie glauben, das war Geschenk, keine eigenmächtige Entscheidung. Adolf Schlatter schreibt: „Soweit ich sehe, hat noch kein Theologe sein Recht erwiesen, in anderer Weise von seinem guten Wollen zu sprechen, also so, dass er Gott für dasselbe dankte als für das Geschenk seiner erlösenden Gnade.“

 

Christ-Werden und die biblischen Bilder

Die Bibel kennt verschiedene Worte und Bilder vom Christ-Werden. Manche Worte, die wir oft im Munde führen, kommen da gar nicht vor, z. B. das „Sich-Entscheiden“, aber auch das „Sich-Bekehren“. Das Erlebnis, das Paulus vor Damaskus hatte, als er die Christen verfolgte und ihm dann Jesus begegnete (Apostelgeschichte 9,1-19) – das war keine Geschichte, in der Paulus sich selbst bekehrt hat. Die Bibel nennt es anders, nämlich „Berufung“. Menschen werden von Gott „herausgerufen“ aus ihrer alten Welt hinein in eine neue. Ein wichtiges biblisches Wort für die Gemeinde Jesu im Neuen Testament ist deshalb ekklesia, die „Herausgerufene“. Ein weiterer Begriff ist der des „Versetzt-Werdens“ (bzw. „Unterstellt-Werdens“)  in das Reich Gottes. Paulus schreibt: „Er hat uns vor der Macht der Finsternis gerettet und der Herrschaft seines geliebten Sohnes unterstellt. Der schenkt uns die Erlösung, die Vergebung unserer Sünden.“ (Kolosser 1,13-14) Man könnte es auch so sagen: Gott hat uns von der Mitarbeiter-Liste der Firma „Finsternis“ gestrichen und in die Liste einer anderen Firma eingetragen, seiner eigenen, des Reiches seines Sohnes. Hier wird der Mensch als sehr passiv dargestellt. Die Bibel spricht auch von „Umkehr“. Jesus ruft gleich im ersten Satz, der uns von ihm überliefert ist, zur Umkehr auf. Gemeint ist das Wort, das Luther mit „Buße“ übersetzt: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße [d. h. kehrt um!] und glaubt an das Evangelium!“ (Markus 1,15). Dieses Wort hat viele verschiedene Bedeutungen. Eine Bedeutung, die es aber auf keinen Fall hat, ist: Bußübungen leisten. Es geht um etwas ganz anderes. Man kann es auch mit „umdenken“ übersetzen oder mit „neu denken“. Es handelt sich um einen Richtungswechsel, eine komplette Neuausrichtung eines ganzen Lebens. Hier wird der Mensch als aktiv dargestellt.

 

Was nun?

Und, fragen Sie sich jetzt vielleicht, darf ich den Satz jetzt noch sprechen oder nicht? Natürlich dürfen Sie. Aber vielleicht sprechen Sie diesen Satz anders als bisher, nämlich nicht mehr ohne andere Sätze, die Sie ihm an die Seite stellen. Die Bibel hat ja, das habe ich u. a. versucht zu zeigen, eine Menge an Worten und Bildern, die ausdrücken und uns bekennen helfen, was Christ-Sein heißt. Gehen Sie immer wieder auf Entdeckungsreise und nehmen neue Sätze in Ihr Repertoire auf.

 

 

Dr. Clemens Hägele
Albrecht-Bengel-Haus (https://www.bengelhaus.de/)

 

(Erschien ursprünglich in Theologische Orientierung Nr. 195, S. 10-12 mit dem Titel "Ich habe mich für Jesus entschieden: Was an diesem Satz gut ist")

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Geändert am: 16.08.2024

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