Beim letzten Abendessen mit seinen Jüngern hat Jesus mit Brot und Wein seinen Tod erklärt. Wenn Christen das Abendmahl feiern, erinnern sie sich daran.
Das erste Ma(h)l
Das Abendmahl geht auf das letzte gemeinsame Essen zurück, das Jesus zusammen mit seinen zwölf engsten Freunden, seinen Jüngern, eingenommen hat. Davon berichten alle vier Evangelien (z. B. Lukas 22,14-20). Das zeigt, wie bedeutsam dieser Moment war. Die Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas erzählen, dass Jesus mit seinen Leuten den Beginn des Passahfestes, das Sedermahl, feierte.
An diesem Fest erinnert sich das jüdische Volk an eine wundersame Befreiung. Einst waren sie 400 Jahre lang Sklaven unter den Pharaonen in Ägypten gewesen, bis sie in einer Nacht in die Freiheit aufbrachen und zu einem unabhängigen Volk wurden (2. Mose 12). Entsprechend wurde und wird bis heute jedes Jahr am Passahabend der Tisch mit besonderen Zeichen der Erinnerung gedeckt: z. B. mit Salzwasser für die Tränen, bitteren Kräutern für das Leid, einem braunen Mus für den Lehm, aus dem die Ziegel für die Paläste des Pharaos gebrannt wurden. Außerdem gibt es Fladenbrot und Wein, wie früher bei jeder Mahlzeit. Für dieses Abendessen am Passahfest gibt es ein festes Programm (die „Pessachliturgie“). Darin ist u. a. vorgeschrieben, dass der Hausherr über dem Brot und dann über den Weinbechern ein Segenswort spricht.
Wie es üblich war, nahm Jesus ein Brot in die Hand, um es auszuteilen. Er sprach das Dankgebet – und fügte dann zur Überraschung aller hinzu: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Tut das zur Erinnerung an mich.“ (Lukas 22,19) Während des Essens ging gemäß der Liturgie auch der Weinbecher einige Male vom einen zum anderen. Denn nicht jeder hatte ein eigenes Glas. Man teilte bei Tisch auch das Getränk. Einen letzten Weinbecher ließ man stehen; er sollte erst getrunken werden, wenn der Messias kommt. Wieder zur Überraschung aller nahm Jesus nach dem Essen diesen Weinbecher, gab ihn zum Trinken weiter und sagte: „Dieser Becher steht für den neuen Bund, den Gott mit den Menschen schließt – durch mein Blut, das für euch vergossen wird.“ (Lukas 22,20) Damit knüpfte Jesus einerseits an das Fest der Befreiung aus der Sklaverei an. Aber er stiftete auch ganz neue Zeichen der Erinnerung und erklärte damit die Bedeutung seines Todes, der unmittelbar bevorstand.
Die Erinnerung
Bis heute feiern Christen das Abendmahl zur Erinnerung an diese Nacht. Schon in den Berichten über die erste christliche Gemeinde in Jerusalem wird das Abendmahl nicht nur erwähnt (Apostelgeschichte 2,42). Der Begriff „Brotbrechen“ wird zum Inbegriff eines christlichen Gottesdienstes (Apostelgeschichte 20,7). Denn der Tod von Jesus am Kreuz und seine Auferstehung bildeten die Mitte des neuen Glaubens. Mit seinem Tod hatte Jesus alle Sühneopfer abgelöst, die gläubige Menschen Gott bisher gebracht hatten. Und weil Gott Jesus vom Tod auferweckte, war eine neue Schöpfung und eine neue Gemeinschaft Gottes mit den Menschen angebrochen (2. Korinther 5,17). Daran erinnert sich die christliche Gemeinde bis heute, wenn sie sich zum Gottesdienst trifft (1. Korinther 11,26). Sie hört dabei nicht nur die Geschichte vom letzten Abend von Jesus mit seinen Jüngern, sie nimmt Brot und Wein zu sich. Dadurch wird aus der Erinnerung mehr als eine Gedenkveranstaltung. Sie schließt jeden ein, der das Abendmahl feiert. Es ist, als wäre er damals selbst dabei gewesen. Erinnerung bedeutet Teil zu haben.
Gemeinsam Essen
Ein Stück Brot zu teilen und aus einem Becher zu trinken, verbindet. Viel mehr als heute war eine gemeinsame Mahlzeit zur Zeit von Jesus ein Zeichen. Menschen, die sich gemeinsam an einen Tisch setzten, hatten Vertrauen zueinander. Wer isst, hat keine Gelegenheit, sich zu schützen. Gemeinsames Essen bedeutete Solidarität. Nur mit Familie, Freunden oder Geschäftspartnern saß man am Tisch. Deshalb hatte Jesus viel Aufsehen erregt, als er mit Menschen zusammen aß, die von der Gesellschaft geächtet waren (Matthäus 9,10-12; Lukas 19,1-10). Übertragen auf das Abendmahl bedeutet das: Das gemeinsame Mahl verbindet. Mehr noch verbindet es, wenn dasselbe gegessen und getrunken wird. So verbindet das Abendmahl einen Menschen nicht nur mit Jesus und seiner Geschichte, sondern auch mit allen anderen Christen. Aus vielen einzelnen Personen wird ein Mensch, ein Leib, der Leib der Gemeinde von Jesus Christus (1. Korinther 10,16-17).
Das Sakrament
Das Abendmahl wird in der kirchlichen Lehre als Sakrament bezeichnet. Das bedeutet: Es ist ein von Jesus selbst eingesetztes, sichtbares Zeichen und steht für eine unsichtbare Wirklichkeit. Anders gesagt: Ganz alltägliche, greifbare Lebensmittel erinnern an ewige Werte, die nicht zu sehen sind und doch real. Man kann diesen Gedanken mit einem Geldschein vergleichen. Er ist eigentlich nur ein Streifen bedrucktes Papier. Seinen Wert bekommt er durch das Siegel und die Unterschrift der Europäischen Zentralbank. Siegel und Unterschrift beim Abendmahl sind die Worte, die Jesus beim ersten Mal gesprochen hat: „Das ist mein Leib, für euch gegeben. Das ist mein Blut, für euch zur Vergebung vergossen.“ (Lukas 22,19-20) Diese Worte verleihen Brot und Wein besondere Bedeutung. Brot und Wein „transportieren“ sozusagen die Vergebung der Schuld und die Liebe Gottes zu den Menschen. Wer diesen Worten glaubt, ist nicht nur mit anderen Christen verbunden, sondern mit Gott selbst, weil Jesus es sagt.
Die Vergebung
Menschen aller Religionen kennen Riten, um sich Gott zu nähern. Denn wer sich Gott nähert, spürt einen tiefen Graben zwischen dem heiligen Gott und der menschlichen Unvollkommenheit. Zum Beispiel sollen Waschungen reinigen und gute Werke eine Art Ausgleich für begangenes Unrecht schaffen. (Sühne-)Opfer stehen für die Wiedergutmachung von Schuld. Um alle (vergebliche) Mühe der Menschen zu beenden, hat Jesus, der Sohn Gottes, sein Leben geopfert. Durch seinen Tod hat Gott selbst die Welt mit sich versöhnt (Johannes 3,16; 2. Korinther 5,19). Daran erinnert das Abendmahl. Es „transportiert“ diese Tatsache mit Worten und in den Zeichen von Brot und Wein. Selbstverständlich vergibt Gott auch ohne die Feier des Abendmahls. Man kann ihm jederzeit begegnen, mit ihm reden und ihn hören. Doch das Abendmahl macht gewiss. Weil es mehr ist als Worte, ermutigt es zu vertrauen. Die Feier des Abendmahls bestätigt, dass wahr und wirksam ist, was Jesus sagt.
Die Zukunft
Und schließlich erzählt das Abendmahl davon, dass Gott in seiner neuen Welt ein Fest vorbereitet. Immer wieder hat Jesus Gottes Reich mit einer Hochzeitsfeier verglichen (Lukas 14,15-24; Lukas 15,22-24). Auch beim letzten Abendessen mit seinen Jüngern erinnerte er daran. Damals feierte er mit ihnen den Passahabend. Doch das nächste Mal würde er das Fest schon in der neuen Welt Gottes feiern (Lukas 22,16). Die ersten Christen haben deshalb ihre Gottesdienste und Mahlfeiern mit der Bitte abgeschlossen, dass Jesus bald sichtbar in diese Welt zurückkommt (1. Korinther 11,26; Offenbarung 22,20). Wer Abendmahl feiert, erinnert sich.
Das Abendmahl soll aber genauso Vorfreude wecken. Denn Gott sagt, dass er mit den Menschen zusammen sein will. Wie eine Familie oder ein Kreis von Freunden um einen Tisch sitzt und feiert, so lädt Gott seine Geschöpfe ein. Er freut sich darauf, dass einmal der Saal voll und alle Plätze belegt sein werden (Lukas 13,29).
Maike Sachs
Albrecht-Bengel-Haus (http://www.bengelhaus.de)