Beten bedeutet, die Verbindung zu Gott aufzunehmen. Doch wie genau spricht man sein Gegenüber an, wenn man betet? Sagt man einfach „Gott“? In der Bibel finden sich in Gebeten unterschiedliche Anreden. Gottes Volk, die Juden, betete vor allem zu JHWH. Für neutestamtliche Christen dagegen gibt es maßgebliche Gründe, zu dem Herrn Jesus Christus zu beten oder aufgrund ihrer Stellung als „Kinder Gottes“ ihre Gebete an den Vater im Himmel zu richten.
Der Adressat im Gebet
Wer eine Nachricht verschicken oder telefonieren will, muss die richtige Nummer verwenden. Unzählige Beter haben sich durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch an verkehrte Adressen gewandt. Der Apostel Paulus schreibt in einem seiner Briefe an die Christen in Korinth: „Ihr wisst, dass ihr, als ihr zu den Heiden gehörtet, zu den stummen Götzenbildern hingezogen, ja, fortgerissen wurdet“ (1. Korinther 12,2).
Gott beim Namen nennen im Gebet
Juden und Christen beten zu dem Gott, der von jeher fordert: „Keine anderen Götter neben mir!“ (2. Mose 20,3). Gott hatte sich Mose einst mit dem Namen JHWH (lies Jahwe, bedeutet „der Seiende/Existierende“) vorgestellt (2. Mose 3,13-14). Wenn im ersten Teil der Bibel, im Alten Testament, die Angehörigen von Gottes Volk beten, dann sprechen sie Gott mit JHWH an (1. Mose 24,26; 2. Mose 8,26; 1. Samuel 1,26; 1. Könige 8,44; 2. Könige 6,17; Nehemia 1,5; Jeremia 42,4; Daniel 9,4; Jona 2,2 u. v. a. m.).
Mit seinem Namen ist JHWH unterscheidbar von irgendwelchen Götzen. Dagegen ist der bloße Ausdruck „Gott“ eine allgemeine Bezeichnung, die im Grunde für jedes von Menschen erdachte übernatürliche Wesen verwendet werden kann. Zwar ist es nicht falsch, von Gott oder zu Gott zu reden (der Zöllner in einem Gleichnis von Jesus etwa betet zu Gott: Lukas 18,13; s. auch Apostelgeschichte 10,2; Offenbarung 7,11; Offenbarung 19,4), doch als Anrede klingt dieses Wort distanziert. Es ist ähnlich wie bei der Anrede „Mensch“; ob ich einen Freund frage: „Mensch, wie geht es dir?“, oder: „Hey, Julian, wie geht es dir?“, ist ein Unterschied. Namen schaffen Verbindung.
Jesus mit Namen nennen im Gebet
Zwei Gebete sind nach Pfingsten, der Geburtsstunde der neutestamentlichen Gemeinde, wörtlich überliefert. In dem einen heißt es: „Sie aber … erhoben einmütig ihre Stimme zu Gott und sprachen: ‚Herrscher, du, der du den Himmel und die Erde und das Meer gemacht hast …‘“ (Apostelgeschichte 4,24-30). Das andere Gebet stammt von Stephanus, dem ersten christlichen Märtyrer; er schreit unmittelbar vor seiner Ermordung zum Himmel: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ (Apostelgeschichte 7,59). Die einen sprechen den Schöpfergott an und nennen ihn „Herr“ (s. Apostelgeschichte 4,29), der andere betet zum Herrn Jesus. Dabei stellt die Anrede, die Stephanus wählt, in der Bibel eher die Ausnahme dar. (Es lassen sich allerdings auch Gespräche der Jünger mit Jesus vor seiner Himmelfahrt in diese Kategorie einordnen, etwa wenn Thomas ihn mit „Mein Herr und mein Gott!“ [Johannes 20,28] anredet.) Ein weiteres kurzes Gebet, das sich direkt an den Herrn Jesus richtet, steht im zweitletzten Vers der Bibel: „Komm, Herr Jesus!“ (Offenbarung 22,20).
Mit Jesus Christus hat Gott den Menschen abermals einen Namen anvertraut. „Kein anderer kann Rettung bringen. Und Gott hat uns auch keinen anderen Namen unter dem Himmel bekannt gemacht, durch den wir Rettung finden“ (Apostelgeschichte 4,10.12). Jesus ist sozusagen sein Rufname, der als Retter in der Not (an)gerufen werden kann. Jesus entspricht dem hebräischen Namen Josua (Jah ist die Kurzform von JHWH; Hosea heißt Rettung) und bedeutet: JHWH rettet (vgl. Matthäus 1,21). Vor dem Namen Jesus wird in der Zukunft ausschließlich jeder auf die Knie gehen und ihn anbeten (Philipper 2,9-11; vgl. Offenbarung 5,8.12).
Gebete, die „im Namen (und im Sinne) von Jesus“ (Johannes 14,14) gesprochen werden, geben dem Gesagten besonderes Gewicht. Außerdem betont diese Art zu beten die Mittlerrolle, die Jesus Christus zwischen Gott und Menschen einnimmt (1. Timotheus 2,5).
Gott als Vater begegnen im Gebet
Was sagt Jesus, zu wem seine Leute beten sollen? Auf ihre Bitte: „Herr, sag uns, wie wir beten sollen!“ (Lukas 11,1), leitet Jesus die Jünger an: „Wenn ihr betet, dann so: Vater, dein Name soll geheiligt werden …“ (Lukas 11,2-4). Hier gibt Jesus die Anrede „Vater“ vor und legt gleichzeitig in diesem Gebet Wert auf seinen Namen (JHWH), der heilig zu halten ist. Dass Jesus selbst zu Gott, dem Vater, betete, ergibt sich aus seiner Gottessohnschaft. Aber auch seine Jünger – damals wie heute – sind dazu berechtigt; jeder Christ, der durch den Glauben an Jesus „Kind Gottes“ geworden ist (Johannes 1,12), darf Gott entsprechend mit „Vater“ anreden. Die Apostel loben und danken dann auch dem Vater in ihren Gebeten beziehungsweise fordern dazu auf (2. Korinther 1,3; Epheser 3,14; Kolosser 1,3.12; 1. Petrus 1,17).
Jesus betete auch: „Abba, mein Vater“ (Markus 14,36). Sowohl das aramäische „Abba“ als auch das griechische „Pater“ bezeichnen jeweils den Vater. An lediglich drei Stellen kommt „Abba“ im Neuen Testament vor (Markus 14,36; Römer 8,15; Galater 4,6), und jedes Mal werden beide Begriffe kombiniert: das den Juden vertraute „Abba“ mit dem auch Nichtjuden bekannte „Pater“. Wie Jesus dürfen sowohl Juden als auch Heiden (also Menschen, die nicht durch Geburt zu Gottes auserwähltem Volk gehören) nach den beiden oben aufgeführten Paulustexten „Vater“ zu Gott zu sagen, wenn der Heilige Geist in ihnen wohnt.
Übrigens stehen die Gebete zu Jesus und die zu Gott, dem Vater, keineswegs in Konkurrenz zueinander. Wie sagt Jesus: „Ich und der Vater sind eins“ (Johannes 10,30). Und: „Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Johannes 14,1).
An wen Christen ihre Gebete richten
Man kann im Gebet „Gott“ sagen, „Herr“, „Herr Jesus“ oder „Vater“. Zu Gott zu beten, ist nicht falsch, klingt den Adressaten eines Gebets betreffend allerdings unklar. Zum Herrn Jesus zu beten ist wesentlich vertrauter, wendet sich der Beter doch an den Urheber seiner Errettung von Sünde und Tod; allerdings kommen solche Gebete in der Bibel selten vor. Zum Vater zu beten drückt die durch den Glauben an Jesus erneuerte Beziehung zu Gott aus. Christen sind Kinder Gottes. In kindlichem Vertrauen können sie ihrem Vater im Gebet begegnen und ihm das Unvorstellbare zutrauen.
Markus Wäsch
Stiftung der Brüdergemeinden