Will Jesus Christus Einheit unter Christen?

Kurze Antwort

Die Einheit unter Christen ist ein Herzensanliegen von Jesus Christus. Im sogenannten hohepriesterlichen Gebet bittet er Gott, seinen Vater, genau darum. Gott selbst ist mit der Einheit von Vater, Sohn und Heiligem Geist ein Vorbild für die Einheit der Christen.

Die Grundlage der Einheit von Christen ist ihr gemeinsamer Glauben und die Liebe Gottes. Es ist abstoßend und befremdlich, wenn Christen sich untereinander anfeinden.

Kennen wir Christinnen und Christen anderer Konfessionen, anderer Länder, anderer Kirchen und Gemeinden? Beten wir für sie? Lernen wir von ihnen? Und sie von uns?

 

Im 17. Kapitel des Johannesevangeliums steht ein berühmtes Gebet, das sogenannte „hohepriesterliche Gebet“. Es ist kein Gebet wie das Vaterunser, das auch wir beten können. Es ist Jesu eigenes Gebet zum Vater, ein Gebet, dem wir nur zuhören können, aber auch zuhören dürfen. Und in diesem Gebet ist eine Bitte Jesu an seinen Vater besonders bekannt geworden, die nämlich, „dass sie alle eins seien“. Jesus betet (Johannes 17,20-23):

 

»Ich bete nicht nur für sie. Sondern ich bete auch für alle, die durch ihr Wort zum Glauben an mich kommen. Sie sollen alle untrennbar eins sein, so wie du, Vater, mit mir verbunden bist und ich mit dir. Dann können auch sie mit uns verbunden sein. Dann kann auch diese Welt glauben, dass du mich gesandt hast. Ich habe ihnen die Herrlichkeit weitergegeben, die du mir geschenkt hast. Denn sie sollen eins sein, so wie wir eins sind. Ich bin mit ihnen verbunden und du mit mir, damit sie untrennbar eins sind. Daran soll diese Welt erkennen: Du hast mich gesandt, und du liebst sie, so wie du mich liebst.«

 

Es ist fast unmöglich, alle diese Worte beim ersten Hören zu verstehen. Aber eins ist klar: Es ist ein Herzensanliegen Jesu, dass alle Christen eins seien. Um diese Einheit bittet er den Vater. Schon das sollte uns aufhorchen lassen, denn dann ist es auch sein Herzenswunsch, dass wir das Eins-Werden unter Christen suchen und fördern. Was aber bedeutet „Eins-Sein“? Was können wir an der Jesu Bitte um das Eins-Sein schon ablesen?

 

Die Grundlage hinter jeder echten Einheit

Hinter jeder echten Einheit steht der gemeinsame Glaube, dass Jesus der geliebte Sohn des Vaters ist. Sind wir darin uneins, dann kann das Eins-Sein nicht funktionieren, dann hat es keine Grundlage. Warum? Deswegen, weil die Liebe des Vaters zum Sohn übergeht in die Liebe des Vaters zu den Seinen („ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir geben hast“; „… und du sie liebst wie du mich liebst“). Und dass wir alle geliebt sind, wie der Sohn vom Vater geliebt ist, das ist Grundlage des Eins-Seins der Christen. Die Liebe des Vaters eint uns, keine gemeinsamen Interessen, Vorlieben, Herkünfte oder was auch immer.

 

Die Philosophie des Himmels

Das Eins-Sein soll sich in der Liebe der Christen untereinander zeigen, denn die Einheit des Vaters mit dem Sohn ist auch eine Liebeseinheit. C. S. Lewis hat ein Buch geschrieben, die „Dienstanweisungen an einen Unterteufel“ – vermutlich sein bekanntestes Buch –, in dem ein Oberteufel einem Unterteufel Anweisungen gibt, wie er einen Menschen geschickt verführen kann. In diesem Zusammenhang erklärt der Oberteufel den Unterschied zwischen der Philosophie der Hölle und der Philosophie des Himmels. Die Philosophie des Himmels zeigt, wie schon im Wesen des Vaters, in seiner Einheit mit dem Sohn, die Liebe liegt, die sich dann in der Gemeinde zeigen soll.

 

„Die ganze Philosophie der Hölle beruht auf der Anerkennung des Grundsatzes, daß eine Sache nicht eine andere ist, und im besonderen, daß ein Ich nicht ein anderes Ich ist. Mein Eigentum ist mein Eigentum und dein Eigentum ist dein Eigentum. Was der eine gewinnt, verliert der andere. Sogar ein lebloser Gegenstand ist das, was er ist, dadurch, daß er alle anderen Gegenstände davon ausschließt, den Raum einzunehmen, den er einnimmt. Wenn er sich ausdehnt, so geschieht es, indem er andere Gegenstände beiseite schiebt oder in sich aufnimmt. Genauso mit dem Ich. Bei den Tieren nimmt dieses In-sich-Aufnehmen die Form des Fressens an; für uns bedeutet es das Aussaugen des Willens und der Freiheit eines schwächeren Selbst durch ein stärkeres. „Sein“ bedeutet „sein Ich behaupten“. Nun ist aber die Philosophie des Feindes nichts mehr und nichts weniger als ein fortwährender Versuch, dieser ganz selbstverständlichen Wahrheit auszuweichen. Er zielt auf einen Widerspruch. Es sollen viele Dinge sein und doch irgendwie nur eines. Das Gut des einen Ich soll auch das Gut des andern Ich sein. Diese Unmöglichkeit nennt Er Liebe, und dieses selbe, langweilig-einförmige Wundermittel kann man in allem entdecken, was Er tut und sogar, was Er ist – oder zu sein vorgibt. Deshalb ist Er, ja Er selbst, nicht zufrieden damit, eine reine arithmetische Einheit zu bilden; Er behauptet nämlich, Drei so gut wie Einer zu sein, damit dieser Unsinn von der Liebe in seiner eigenen Natur eine Grundlage findet. Am andern Ende der Stufenleiter führt Er in die Materie jene abgeschmackte Erfindung, den Organismus, ein, in dem die Teile ihrer natürlichen Bestimmung der gegenseitigen Konkurrenz entfremdet und auf Zusammenarbeit angelegt sind.“ (S. 77f)

 

Der Blick der Welt auf die Christen Das Eins-Sein der Christen ist ein Zeugnis nach außen („damit die Welt erkenne“). Eine Gemeinschaft echter Liebe und nicht nur gleicher Interessen ist auch heute immer noch auffällig und attraktiv. Ich habe als Teenager auf christlichen Freizeiten immer darauf geachtet (vielleicht unbewusst), wie die frommen Mitarbeiter miteinander umgehen. Es ist für die Welt befremdlich und abstoßend, wenn sich Christen untereinander anfeinden. Streit hat die Welt selbst genug. (Ich kann verstehen, dass es in der Grabeskirche in Jerusalem, einer Kirche, die sich zahlreiche Konfessionen teilen, immer wieder zu Streit zwischen Christen kommt, vielleicht sogar kommen muss. Ein Zeugnis allerdings ist das nicht.) Unter den Sätzen Jesu, die mich wirklich erschrecken, erschreckt mich am meisten der, dass die Liebe am Ende der Tage erkalten wird (Matthäus 24,12). Aufgabe der Christen ist es, die Liebe und das Eins-Sein vorzuleben vor einer kälter werdenden Welt.

 

 

Dr. Clemens Hägele
Albrecht-Bengel-Haus (https://www.bengelhaus.de/)

 

(Erschien ursprünglich in Theologische Orientierung Nr. 201, S. 14-15 mit dem Titel "Jesus betet für Einheit")

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Geändert am: 16.08.2024

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