Wie sieht Jesus die Zukunft?

Kurze Antwort

Jesus knüpft mit seinen Aussagen über die Zukunft an die damaligen Vorstellungen seiner Mitmenschen an. Er spricht vom Kommen des Reiches Gottes. Dieses Reich ist jedoch nicht an ein bestimmtes Gebiet gebunden, sondern verändert die Menschen von innen heraus. 

In diesem Reich Gottes wird es weder Sünde und Tod noch Ungerechtigkeit mehr geben. Gott möchte seine Schöpfung von allem Leid erlösen. Wenn Menschen nach dem Willen Gottes leben, zeigt sich dieses Reich Gottes schon heute. 

Wenn wir fragen, wie Jesus die Zukunft dieser Welt sieht, müssen wir vom Kommen des Reiches Gottes reden. Das „Reich“ Gottes ist ein durch die Übersetzung der entsprechenden Vater-Unser-Bitte fest geprägter Begriff. Auch wenn man das im griechischen Urtext stehende "basileia tou theou" genauer mit Königsherrschaft Gottes wiedergeben sollte, was gleichbedeutend ist mit Königsherrschaft der Himmel im Matthäusevangelium. Diese Vorstellung kommt aus dem Alten Testament. Hier wird, insbesondere in den Psalmen, der Gott Israels als „König“ angebetet und gepriesen. Er ist der Herr über die ganze Schöpfung (z. B. Psalm 95), ein König, der über allen irdischen Herrschern steht (Psalm 44), der mächtiger ist als alle anderen „Götter“ (Psalm 29) und der seine Macht darin erweist, dass er sein Volk Israel gegen seine Feinde schützt und seine Gerechtigkeit durchsetzt (Psalm 99). Die Vorstellung von einem weltlichen Königtum, das diese Herrschaft Gottes repräsentiert, lässt sich in den Berichten über König David (1000 bis 960 vor Christus) erkennen. Tatsächlich wurde Israel unter diesem Herrscher zu einem Großreich, welches bis in die Zeit Salomos hinein eine kulturelle Blüte erlebte. Zugleich war dies aber der Beginn eines Irrweges: die Verehrung Gottes sollte politische Macht und wirtschaftlichen Erfolg garantieren. Diese offenkundige Verfälschung der Bundeszusagen mit ihren negativen sozialen Folgen wurde insbesondere von den Propheten radikal in Frage gestellt; die Katastrophe des babylonischen Exils (587-520 vor Christus) sahen sie als Antwort Gottes darauf (vgl. Jesaja 31,1-3). Das israelitische Königtum war gescheitert, das „Reich“ war verloren.

 

Immer stärker wurde in der nachexilischen Zeit die Sehnsucht, dass Gott selbst noch einmal eingreifen würde, um seine Herrschaft unwiderruflich aufzurichten und sich als von Israel, ja vom Zion aus herrschender Friedenskönig über die Völkerwelt zu zeigen. Diese Hoffnung hatte apokalyptische Züge, d. h. sie erwartete die Vernichtung der Gottlosen und den Untergang der damaligen Weltreiche (vgl. Daniel 7). Damit verband sich die Erwartung eines Messias aus der Nachkommenschaft Davids. Dieser würde – auch politisch und militärisch – aller Fremdherrschaft und Ungerechtigkeit ein Ende machen und das ersehnte Reich des Friedens aufrichten.

 

Wenn Jesus nun die Herrschaft Gottes proklamiert, zur Umkehr aufruft (Markus 1,15), dann knüpft er auch an diese Vorstellungen an. Allerdings ist für ihn das „Reich“ nicht mehr mit einem bestimmten Territorium oder irdischen Herrschaftsformen verbunden. Gottes Herrschaft verändert die Menschen von innen heraus. Sie markiert damit auch den Beginn vom Ende dieser vergehenden Weltzeit („Äon“). Deshalb der dringliche Ruf zur Entscheidung. Wer im „Reich Gottes mit zu Tisch sitzen will“, muss sich jetzt der Herrschaft Gottes unterstellen und nach ihren Regeln leben.

 

Wie, wo, wann, wozu?

Soviel zu den Anfängen. Dennoch fragen sich viele: Wie kann man sich das vorstellen? Ein Reich, ein Machtbereich, in dem Gott regiert, wo es keinen Platz mehr für weltliche Macht, für Torheit und Ungerechtigkeit gibt. Wo die Sünde, der Tod und das Böse nichts mehr ausrichten können. Kommt dieses Reich wirklich zu uns, wie es Jesus immer wieder sagt, und wenn ja: Müssen Christen dafür etwas tun?

 

Weiter wird gefragt: Was geschieht dann mit der Erde? Gibt es eine Zukunft für die Schöpfung mit ihrer wundervollen Ordnung? Oder wird sie, wie es in manchen christlichen Kreisen propagiert wird, zerstört? Verglüht sie in einer kosmischen Katastrophe, so dass es gar keinen Sinn macht, sich heute darum zu kümmern? Vor allem: Wo und wann wird dieses „Reich“ Gestalt annehmen?

 

Man muss, um diese Fragen zu beantworten, verschiedene Bild-Ebenen des Wortes Gottes zusammenhalten. Jesus selbst antwortet auf die Fragen nach dem Wo und Wann mit den Worten: „Hier und jetzt!“ Wo der Messias gegenwärtig ist, da hat die Herrschaft Gottes begonnen und kann an ihren Folgen erkannt werden. Mit seiner Rückkehr in die Welt des Vaters hat Jesus nach dem Zeugnis der Bibel die uneingeschränkte Herrschaft über den Kosmos und alle Mächte angetreten (Epheser 1,20-23), von dort „wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“. Das heißt: Schon heute verwirklicht sich die Herrschaft Gottes im gehorsamen Tun der Glaubenden, das endgültige Offenbarwerden dieses „Reiches“ aber ist mit der Wiederkunft Jesu am Ende der Zeit verbunden. Dem entspricht das Bild von der Stadt Jerusalem, die am Ende der Zeit vom Himmel auf die Erde herunterkommt und sich mit dieser hochzeitlich verbindet (Offenbarung 21,2). Die detaillierte Beschreibung dieser Stadt zeigt, dass das neue Leben im „Reich Gottes“ auch ästhetische, ökologische, politische und missionarische Dimensionen hat; es ist geprägt von vollkommener Schönheit und Gerechtigkeit. Zugleich ist dieses Reich – und das ist überraschend - nach außen geöffnet: Von hier aus können alle Nationen Heilung erfahren.

 

Verwandlung und Vollendung

Das zuletzt Gesagte macht deutlich: Ein Leben im Reich Gottes ist nicht langweilig, es gibt für die Erlösten viel zu tun: Anbetung, Begegnung, Regierungsarbeit, vielleicht auch Mission. Die Bestimmung des Menschen zum „Mitarbeiter Gottes“ soll in einer guten Weise verwirklicht werden (1. Korinther 3,9). Ob vielleicht auch noch Dinge aus dem irdischen Leben zu klären, in Ordnung zu bringen sind? Das mag für manche etwas gewöhnungsbedürftig sein. Ist nicht die Vorstellung viel schöner, dass der Himmel ein unendlich weit entfernter Ort ist, der mit dem jetzigen Dasein gar nichts mehr zu tun hat? Dass wir dort ein störungsfreies Leben führen und unsere Lieben wiedersehen, aber ohne jeden Beziehungsstress und sonstige Verpflichtungen?

 

Nein. Diese Vorstellung von einem „Himmel“, in den wir nach unserem Erdenleben kommen, hat zwar unsere Frömmigkeit sehr stark geprägt, ist aber nicht biblisch. Es geht in der Nachfolge Jesu nicht nur um das persönliche „Seelenheil“ der Gläubigen. Abgesehen davon, dass die Bibel eine Erlösung der „Seele“ ohne den Körper nicht kennt (das ist eine platonische Vorstellung): Das Ziel der Heilsgeschichte Gottes ist nicht allein die Rettung einzelner Menschen. Diese ist die Folge in einem viel größeren Kontext. Und diesen Kontext beschreibt das Wort Gottes mit dem Begriff der Neuschöpfung des Kosmos, der Menschheit, ja der gesamten Kreatur. Wenn Jesus vom „Himmel“ als einem Ort spricht, dann meint er damit genau das: Die in seiner Person anbrechende Herrschaft Gottes, durch die das Bestehende teils zerstört (Matthäus 24,29; 2. Petrus 3,10), teils vollendet wird (Römer 8). An das Evangelium glauben heißt, sich auf diese Herrschaft und ihre Ordnungen einzustellen und entsprechend zu handeln.

 

Wir „schaffen“ das Reich Gottes nicht – aber wir sind dazu bestimmt, unter der Anleitung Jesu den göttlichen Plan dazu auszuführen. Sünden werden bekannt und vergeben, Krankheit und Sterben besiegt, Hungrige satt, Entrechtete und Gedemütigte rehabilitiert. Frauen und Kinder werden in ihrer Gottesebenbildlichkeit gewürdigt, Ausgegrenzte in die Gemeinschaft zurückgeholt, Gaben entfaltet, Prioritäten erkannt: Trachtet zuerst nach der Herrschaft Gottes! (Matthäus 6,33) In der Nachfolge Jesu nimmt das Gestalt an, was der Schöpfer ursprünglich im Sinn hatte, als er dem Menschen die Erde anvertraute und ihn in die Gemeinschaft mit sich rief. Für den Prozess dieser Vollendung kennt das NT auch Ausdrücke wie „Herrlichkeit“ oder „Gleichgestaltung“ mit Christus (Römer 8,29). Diese Umgestaltung betrifft übrigens auch den menschlichen Körper. Er wird keineswegs als notwendiges Übel abgeschafft – auch wenn dieser Irrtum vielfach beschrieben und besungen wurde. Unser Körper wird zu einer neuen, geistlichen Körperlichkeit erweckt, so wie der auferstandene Christus einen anderen Körper hatte, aber dennoch leiblich erschien und auch an körperlichen Merkmalen erkennbar war (1. Korinther 15,44-49).

 

Gerechtigkeit – das große Aufatmen

Die von Gott geschaffene Welt steht durch den Sündenfall unter der Knechtschaft der Sünde und des Todes. Die ganze „Kreatur“ sehnt sich nach Befreiung (Römer 8,19) und gerechten Verhältnissen. Dazu muss nicht Gottes gute Schöpfung vernichtet werden, wohl aber alles, was durch die Sünde korrumpiert und entstellt ist, was dem heiligen Willen Gottes widerstrebt Jesus, der Herr, wird richten, das bezeugt Gottes Wort unmissverständlich. Ja, hier wird es harte Urteile und Vernichtung geben, sogar von einem zweiten, endgültigen Tod ist die Rede. Warum? Weil Gottes Gerechtigkeit wieder hergestellt werden muss. Menschen, die dem Schöpfer die Ehre verweigern, die Geld und Macht anbeten, die Gottes Ordnungen entstellen und zerstören, werden im künftigen Reich nicht mehr sein (Offenbarung 21,8). Insbesondere die Weltreiche und ihre Potentaten sind davon betroffen, was für die verfolgten Christen der Antike von größter Wichtigkeit war und es bis heute ist: Einmal werden wir aufatmen, befreit von allem, was uns quälte, kränkte, schmerzte und fesselte! Befreit zur „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“ (Römer 8,21)! Gereinigt durch das Blut Christi und geläutert durch Bedrängnisse und Anfechtung, gibt es „keine Verurteilung mehr für die, die zu Christus Jesus gehören.“ (Römer 8,1).

 

Christen haben allen Grund, sich auf diese Zukunft zu freuen. Und tatkräftig die Liebe Gottes zu leben, die in seinem Reich alles bestimmen wird.

 

 

Dr. Friedemann Fritsch
Albrecht-Bengel-Haus (https://www.bengelhaus.de/)

(Erschien ursprünglich in Theologische Orientierung No. 207, S. 7-9 mit dem Titel "Eine uralte Hoffnung: Vom Kommen einer Herrschaft, die schon längst begonnen hat.")

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Geändert am: 14.08.2024

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