Es ist klar, dass der erwachsene Jesus seine Identität als Sohn Gottes kannte (Johannes 5,17-18). Schon mit 12 Jahren konnte er sagen, dass Gott sein Vater war (Lukas 2,41-51). Wie könnte er es auch nicht wissen, wenn er doch tatsächlich Gott war? (Johannes 1,1.14.18) Doch wann oder wie Jesus als Mensch diese Identität zuerst wahrgenommen hat, wird in der Bibel nicht gesagt. Womöglich haben seine Mutter Maria und sein Ziehvater Josef es ihm gesagt (Lukas 2,25-35.50)
Warum die Frage nach der Selbsterkenntnis von Jesus herausfordernd ist
Es wird in der Bibel nicht explizit gesagt, wie oder genau wann Jesus als Mensch bzw. in seinem menschlichen Verstand merkte, dass er der Sohn Gottes war.
Klar ist, dass Jesus tatsächlich behauptete, Gottes Sohn zu sein. Laut Johannes 5,17 sagte er: „Mein Vater ist ständig am Werk, und ich bin es auch.“ In Johannes 8,38 lesen wir, dass Jesus von Gott als seinem Vater sprach: „Ich rede von dem, was ich beim Vater gesehen habe.“ Auch in Johannes 10 ab Vers 16 wird klar: Jesus wusste, dass Gott sein Vater war.
Das war keine leere, rein intellektuelle oder philosophische Behauptung, sondern eine Selbstidentität, die er wirklich erlebte. In Johannes 5 (vor allem ab Vers 16) schildert der Evangelist einen Streit mit den damaligen religiösen Leitern. Jesus beschreibt sich wiederholt als Sohn Gottes, des Vaters. Dabei zeigen nicht nur die Behauptungen von Jesus, sondern auch sein Tonfall, dass er sich wirklich als Sohn Gottes verstanden und wahrgenommen hat. Ähnlich das Gespräch in Johannes 10,22-39 und sein Gebet in Johannes 17. In seinem Gebet redet Jesus mit großer Selbstsicherheit und sogar enger Vertrautheit zu Gott als seinem Vater. Er nennt Gott „Vater“ und bezeichnet sich selbst als den Sohn des Vaters. Ihm ist bewusst, dass er vor seiner Menschwerdung als Sohn Gottes mit dem Vater in Herrlichkeit lebte.
Aber so klar es auch ist, dass Jesus sich als den Sohn Gottes betrachtete: Es wird nicht erklärt, wie er zu dieser Erkenntnis gekommen ist. Es gibt viele Aspekte des menschlichen Erlebens von Jesus, die wir nicht verstehen oder worüber uns in der Bibel nichts gesagt wird. Andererseits haben wir genug biblische Angaben, um uns ein paar Gedanken darüber zu machen.
Marias und Josefs Bewusstsein für die Identität von Jesus
Maria wusste über die Gottessohnschaft von Jesus Bescheid (Lukas 1,32-35). Josef wurde gesagt, dass Jesus der angekündigte Messias ist (Matthäus 1,23, Jesaja 7,14). Auch wenn diese Information für beide sicher schwer zu verstehen war, ist klar: Maria und Josef wussten, dass Jesus in irgendeinem Sinne der Sohn Gottes war.
Jesus spricht in der Bibel das erste Mal selbst davon, Gottes Sohn zu sein, als er 12 Jahre alt ist (Lukas 2,41-49). Seine Mutter Maria und sein Ziehvater Josef suchen ihn. Als sie ihn im Tempel in Jerusalem finden, fragt Jesus sie: „Wieso habt ihr mich gesucht? Habt ihr denn nicht gewusst, dass ich im Haus meines Vaters sein muss?“ (Lukas 2,49). Woher er das wusste, ist unklar. Aber es ist nicht undenkbar, dass Maria und Josef es ihm gesagt haben.
Andere Leute haben die übernatürlichen Wunder und Zeichen gesehen und zum Teil wurden sie dadurch von der Göttlichkeit von Jesus überzeugt (Johannes 10,37-38). Aber sicher hat Jesus Wunder nicht „aus Versehen“ getan und dann gemerkt, dass er Gottes Sohn war! Eher wirkte er Wunder ganz bewusst als Gottes Sohn (Johannes 5,19).
Jesus: Gott und Mensch
Hätte Jesus seine Identität als Gottes Sohn kennen können, ohne dass eine andere Person es ihm gesagt hätte? Bestimmt war das der Fall, mindestens in diesem Sinne: Die göttliche Person (der Sohn Gottes), die durch die Jungfrauengeburt (Lukas 1,35) Mensch geworden war, könnte nicht nichtwissen, dass er der Sohn Gottes war. Gott ist allwissend. Also wusste der Sohn auch, dass er göttlicher Natur ist. Die Frage ist, wie Jesus, dessen menschliche Natur wachsen und lernen musste (Lukas 2,52a), dieses göttliche Selbstverständnis wahrgenommen hat. Wie hat er es „gemerkt“?
Einen Hinweis finden wir in Lukas 2,52a: „Jesus wuchs heran. Er wurde älter und weiser“ (siehe auch Lukas 2,40). Vermutlich war ein Aspekt dieses Wachstums, dass Jesus seine göttliche Identität mit seinem menschlichen Verstand wahrgenommen hat.
Möglicherweise waren Informationen von seinen Eltern das „Mittel“ dazu. Aber das können wir nicht wirklich wissen, denn die Bibel sagt uns nichts Konkretes darüber.
Evelyn Clement
und
Scott Way, Th.M.
Theologisches Seminar Rheinland