Die Sünde ruft Gottes Zorn hervor. Doch sein Zorn unterscheidet sich von einem wutentbrannten Wirken, wie wir es bei Menschen erleben. Gottes Güte übertrifft seinen Zorn. Die Bibel sagt über Gott: „Nur einen Augenblick dauert sein Zorn, doch seine Güte umfasst das ganze Leben.“ (Psalm 30,6) Sein Zorn trifft die Sünde und will uns auf den guten Weg zurückbringen.
Wir erleben immer wieder zornige Menschen, die ohne Besinnung über Politiker oder Führungskräfte der Wirtschaft hetzen. Sie lassen in ihrem Zorn jede Selbstbeherrschung vermissen. Auf diesem Hintergrund wirkt die Rede vom Zorn Gottes bedrückend.
Da drängen sich Fragen auf: Ist ein solcher erster Eindruck zutreffend? Sind meine Vorstellungen vom Zorn Gottes angemessen?
Meine Erkenntnis über Gott bleibt Stückwerk. Auch mein Wissen über seinen Zorn gleicht Bruchstücken. Dennoch springt ein Ungleichgewicht ins Auge. Gott kündigt an, dass die Sünden der Väter negative Folgen noch bis zu den Urenkeln besitzen, aber dem Treuen erweist er seine Güte bis zur tausendsten Generation (vgl. 2. Mose 20,5-6). Das Positive hat eine deutlich größere Wirkung als das Negative. Im gleichen Sinn heißt es: „Er ist nicht für immer böse mit uns … Doch die Güte des HERRN bleibt bestehen, von Anfang an bis in alle Zukunft.“ (Psalm 103,9.17) Erneut fällt auf, dass Gottes Zorn nur kurz besteht, aber seine Barmherzigkeit in alle Zukunft.
In einer ganz und gar neuen Perspektive erlebe ich Gottes Zorn, wenn ich erkenne: Die biblischen Aussagen vom Zorn Gottes belegen, dass er großes Interesse an uns Menschen hat. Einen ähnlichen Zorn aus Liebe gibt es auch unter uns Menschen.
Im Jahre 1955 wird der Pfarrer Martin Luther King zornig. Warum? Rosa Parks wird verhaftet, weil sie sich im Bus auf einen freien, aber für Weiße reservierten Platz setzt. Es gelingt Martin Luther King, dass die große Mehrheit zornig, aber friedlich reagiert. Sie verzichten auf die öffentlichen Busse und gehen zu Fuß zur Arbeit.
Zorn darf nicht vorschnell mit Wut und Gewalt verbunden werden.
Auch Eltern werden zornig, wenn ihr Kleinkind mit dem Roller auf einer vierspurigen Hauptstraße fährt. Aus Verantwortung wird ein Vater zornig, wenn sein Sohn im Winter nach dem Hallentraining mit nassen Haaren und ohne Mütze auf dem Fahrrad nach Hause fährt. Die Rede vom Zorn Gottes zeigt, dass Gott großes Interesse an uns hat. Er wirbt aus Liebe um uns.
Die Sünde, die Gottes Barmherzigkeit übergeht und seine Gaben übersieht, ruft seinen Zorn hervor. Es gibt kein Nebeneinander von Sünde und Gott. Sein Zorn ist kein rasch aufloderndes Strohfeuer, sondern sein stetiges Nein zum Undank, Untreue oder Versagen des Menschen. Gottes Zorn erhebt sich als verständlicher Widerspruch gegen die Abweisung seiner Gnade. Gott fordert jeden Sünder auf zur Umkehr und warnt ihn. Erst danach trifft sein Zorn den Sünder. Bestraft wird nur, wer nicht hören wollte, wer in seinem Hochmut klare Grenze überschritt.
Der menschliche Zorn lässt oft die Liebe vermissen. Doch Gottes Zorn besteht nicht aus ungezügelten Gefühlsausbrüchen. Gottes Nein zur Sünde öffnet uns den Weg zur Umkehr. Gott lässt trotz seines Zornes mit sich über die Folgen der Schuld verhandeln. Als Aaron, Moses Bruder, ein goldenes Kalb für das Volk Israel in der Wüste anfertigt, rufen sie: „Das ist unser Gott, der uns befreit hat.“ Daraufhin entbrennt Gottes Zorn – denn kein anderer als er hat das Volk befreit. Mose fleht für sein Volk und Gott nimmt seine angekündigte, gerechte Strafe zurück. Gott hat Mitleid. Die angekündigte Strafe unterlässt er (2. Mose 32, 7-14). Mehrfach heißt es von Gott (Jeremia 18,8; Jeremia 26,3): „Ich bereue …“ Gott nimmt die angekündigte Strafe zurück. Nun kann es einen Neuanfang geben. Wir können also festhalten: Der Zorn Gottes unterscheidet sich positiv vom menschlichen Zorn.
Schon im Alten Testament will Gott, der Richter, nicht als der große Angstmacher verstanden werden. Gott kommt und richtet die Welt, um sie zurechtzubringen. Wir haben ja bereits festgestellt: Die Güte Gottes überragt seinen Zorn. Die Bibel sagt über Gott: „Nur einen Augenblick dauert sein Zorn, doch seine Güte umfasst das ganze Leben.“ (Psalm 30,6) Auch in Zeiten des Zorns bleibt verborgen Gottes Güte im Hintergrund. In diesem Sinne heißt es bei dem Propheten Jeremia (3,12): „Ich bin voller Güte und werde nicht für immer zornig bleiben.“
Der Zorn Gottes ist kein wildes, wütendes Wirken Gottes. Eine solche irrige Vorstellung muss zu Recht als primitiv und unchristlich abgelehnt werden. Auch wenn von der Rache Gottes am letzten Tag gesprochen wird, dann ist von einer völlig anderen Rache die Rede als in unserer heutigen Welt. Die Rache Gottes beendet den menschlichen Zorn und die irdische Rache. Der Zorn Gottes verdeutlicht, dass Gott sich gegen die Verbrecher und für die Opfer engagiert.
„Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben!“ (2. Mose 20,2-3) Weil Gott allmächtig ist, sollen wir allein auf ihn bauen. Der Zorn Gottes entbrennt, wenn wir ein irdisches Ziel zum Ersatzgott machen. Wenn Hab und Gut unser Herz bestimmen, wird das Gute zum falschen Gott. Jesus lehrt uns (Matthäus 6,24): „Niemand kann gleichzeitig zwei Herren dienen! Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben. Oder er wird dem einen treu sein und den anderen verachten. Ihr könnte nicht gleichzeitig Gott und dem Geld dienen!“ In der ganzen Bibel begegnet uns dieses Entweder – Oder von Glaube oder Unglaube, Rettung oder Verlorengehen, Leben oder Tod.
Gottes Zorn will uns zur Umkehr auffordern und somit zum Segen werden. Deshalb ist Gottes Zorn letztlich nicht bedrückend, sondern befreiend.
Pfr. i.R. Stefan Lämmer
Evangelische Landeskirche Württemberg