Für Christen ist Jesus der Sohn Gottes, der durch ein Wunder menschgewordene Gott. Sie glauben: Jesus hat die Strafe für die Schuld aller Menschen übernommen. Am Ende der Zeiten müssen sich alle Menschen vor Jesus als höchstem Richter verantworten. Für manche Juden ist Jesus ein Irrlehrer, weil er aus ihrer Sicht gegen die Gebote des Alten Testaments gesprochen hat. Andere Juden halten Jesus für einen weisen Rabbiner, für einen der ihren, dessen Lehren lediglich von den Christen verfälscht wurden.
Jesus im Glauben der großen Weltreligionen
Jesus ist die weitaus bekannteste und am stärksten verehrte Person der ganzen Weltgeschichte. Philosophen sehen in Jesus einen der klügsten und einflussreichsten Morallehrer aller Zeiten. Viele Hindus und Buddhisten glauben, Jesus sei im Anschluss an seine Kreuzigung nach Indien ausgewandert und dort ein großer Meister der Meditation geworden. Viele Juden sind überzeugt, dass Jesus ein bedeutender Prediger des Alten Testaments war, den man lediglich falsch interpretiert habe. Für Muslime ist Jesus einer der wichtigsten Propheten Allahs, der zukünftig wiederkommen wird, um die Menschen zur Umkehr zu rufen. Für Christen ist Jesus der Menschgewordene Schöpfer, der sie von ihrer Schuld befreit und wieder mit Gott in Verbindung bringt.
Jesus im Glauben der Christen
Christen vertrauen in ihrem Glauben auf die zahlreichen Augenzeugen, die mit Jesus gelebt und ihre Beobachtungen später aufgeschrieben haben. Deren Aussagen finden sich in den Büchern des Neuen Testaments. Diese wurden nur wenige Jahre nach dem Tod von Jesus abgefasst. Darin beziehen sich einige Autoren auf die zahlreichen Vorhersagen der jüdischen Propheten des Alten Testaments. Diesen hatte Gott Jahrhunderte zuvor angekündigt, dass er einen von ihm bevollmächtigten Boten schicken würde, quasi seinen Stellvertreter. Dieser Bote wurde auch „Messias“ genannt. Er sollte noch einmal ganz genau den Willen Gottes erklären und die Menschen zurück zu ihrem Schöpfer rufen. Dann sollte er das Problem der Schuld lösen, die jeden Menschen von Gott trennt. Außerdem sollte der Messias / Christus erst eine geistliche und später auch eine irdisch sichtbare Herrschaft Gottes aufrichten. Immer wieder bezogen sich die Evangelisten, die das Leben von Jesus beschrieben, deshalb auf diese Aussagen des Alten Testaments: „Der Menschensohn muss sterben. So ist es in der Heiligen Schrift (Altes Testament) angekündigt.” (Matthäus 26, 24) „Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich darauf. So steht es auch in der Heiligen Schrift (Altes Testament).“ (Johannes 12,14)
Die Augenzeugen des Neuen Testaments lassen keinen Zweifel daran, dass Jesus der durch ein Wunder Mensch gewordene Gott ist. „Jesus Christus (…) ist der wahre Gott und das ewige Leben” (1. Johannes 5, 20) Er wusste mehr und hatte weitaus größere Macht als irgendein anderer Mensch. Nachdem Jesus mit einem einzigen Satz einen heftigen Sturm beendet hatte, heißt es: „Aber die Jünger überkam große Furcht. Sie fragten sich: ‚Wer ist er eigentlich? Sogar der Wind und die Wellen gehorchen ihm!‘” (Markus 4,41)
Jesus konnte auch Sünden vergeben und Tote wieder lebendig machen. „Jesus sah, wie groß ihr Glaube war, und sagte: ‚Du Mensch, deine Sünden sind dir vergeben.‘
Da überlegten die Schriftgelehrten und Pharisäer: ‚Wer ist das eigentlich? Was er da sagt, ist Gotteslästerung! Nur Gott allein kann Sünden vergeben.‘“ (Lukas 5,20-21) Oder an anderer Stelle: „Nachdem er das gesagt hatte, rief er mit lauter Stimme: ‚Lazarus, komm heraus!‘ Da kam der Tote heraus. Seine Füße und seine Hände waren mit Leinentüchern umwickelt und sein Gesicht war mit einem Tuch verhüllt.” (Johannes 11,43-44)
Aus Liebe zu den Menschen hat Jesus schließlich alle Schuld der Welt übernommen. Jedem Menschen bot er damit die Möglichkeit an, ihm seine eigene Schuld zu übergeben.Damit können wir befreit wieder in Kontakt mit Gott kommen. Der Grund dafür: „Niemand liebt mehr als einer, der sein Leben für seine Freunde einsetzt.“ (Johannes 15,13) Der Autor des Markusevangeliums fasst zusammen: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen. Im Gegenteil: Er ist gekommen, um anderen zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele Menschen.” (Markus 10,45)
Am Ende der Zeiten wird Jesus als Herrscher der Welt wiederkommen, sagt die Bibel: „Dann wird der Menschensohn für alle sichtbar am Himmel erscheinen. Das ist das Zeichen, dass das Ende da ist. Dann werden alle Völker der Welt jammern und klagen. Alle werden es sehen: Der Menschensohn kommt auf den Wolken des Himmels mit großer Macht und Herrlichkeit. Zum Klang der Trompeten wird er seine Engel ausschicken.“ (Matthäus 24,30-31) Christen glauben: Alle Menschen werden sich einmal vor Jesus verantworten müssen. „Denn Gott hat einen Tag festgesetzt, um über die ganze Welt zu richten. Dann wird er Gerechtigkeit walten lassen – durch den Mann (Jesus), den er dazu bestimmt hat. Dass dieser Mann wirklich dafür bestimmt ist, hat Gott allen Menschen durch dessen Auferstehung von den Toten bewiesen.“ (Apostelgeschichte 17,31)
Jesus im Glauben jüdischer Menschen
Jüdische Menschen sind sich nicht einig, wie sie Jesus einordnen sollen. Schon zur Zeit des Neuen Testaments waren viele Juden überzeugt, Jesus wäre der von ihren Propheten angekündigte ultimative Bote Gottes, der „Messias“. Deshalb verehrten sie Jesus und erwarteten, dass erals offizieller König Israels auftreten würde. Die ersten Christen, die Jesus als Gott und als Retter von Sünden verehrten, waren größtenteils Juden. Andere Juden betrachteten Jesus als frommen Gelehrten, als Rabbiner: „Sie gingen zu ihm und sagten: ‚Lehrer, wir wissen: Dir geht es nur um die Wahrheit. Dabei nimmst du auf niemanden Rücksicht, denn du siehst nicht auf die Person. Vielmehr sagst du die Wahrheit und lehrst, wie wir nach Gottes Willen leben sollen.‘“ (Markus 12,14)
Gleichzeitig aber gab es auch Juden, die Jesus als Irrlehrer und Verführer betrachteten, weil er ihren gewohnten Denkmustern widersprach. Gerade in den ersten Jahrhunderten nach Christus kämpften viele fromme Juden aktiv gegen die noch nicht sehr zahlreichen Christen. „Als die Pharisäer das hörten, sagten sie: ‚Der Oberste der Dämonen, Beelzebul, hilft ihm, andere Dämonen auszutreiben.‘” (Matthäus 12,24) „Aber die Juden hetzten die Leute in der Stadt gegen Paulus und Barnabas auf –die vornehmen Frauen, die an den Gott Israels glaubten, ebenso wie die angesehensten Männer der Stadt. Sie veranlassten, dass man gegen die beiden vorging. Deshalb mussten sie das Gebiet der Stadt verlassen.“ (Apostelgeschichte 13,50; vgl. Apostelgeschichte 14,2; Apostelgeschichte 14,19)
Auch heute noch gibt es zahlreiche Juden, die in Jesus den menschgewordenen Gott und Retter von aller Schuld erkennen. Sie sind gewissermaßen Juden und Christen zugleich. Manche bezeichnen sich dann als „messianische Juden“. Sie sind überzeugt, dass Jesus der von Gott im Alten Testament angekündigte Messias ist, auf den andere Juden noch immer warten.
In den ersten Jahrhunderten grenzten sich viele Juden radikal von Jesus ab, weil sie die Christen als lästige Konkurrenz betrachteten. Insbesondere im Talmud finden sich Hinweise für diese kritische, manchmal auch ziemlich polemische Abgrenzung gegen Jesus. Ohne nähere Belege wird hier behauptet, Jesus sei nicht etwa von einer Jungfrau geboren, wie im Neuen Testament von Augenzeugen berichtet. Maria habe sich stattdessen mit einem römischen Soldaten namens Panthera auf eine Affäre eingelassen, wobei Jesus gezeugt worden sein soll. Jesus habe dann sexuell ausschweifend gelebt, gefährliche Magie betrieben und die Menschen zu falschen Lehren verführt, wird dann spekuliert (vgl. bAZ 17a/tChul 2.24/Kohelet Rabba 1.8).
In den aus dem 6. Jahrhundert stammenden Toldot Jeschu wird ohne historische Belege behauptet, Jesus habe in Ägypten die Zauberei gelernt, womit seine mutmaßlichen Wunder erklärt werden könnten. Später habe er den Tempel in Jerusalem geschändet. Jesus sei hinterlistig und selbstsüchtig gewesen. Seine Leiche sei von seinen Jüngern gestohlen worden. Erst der vom jüdischen Glauben abgefallene Rabbi Petrus habe aus der Lehre von Jesus eine eigene Religion gemacht, wird darin behauptet.
Im Mittelalter kämpften manche Juden gegen die Ansicht der Christen, in Jesus haben sich die alttestamentlichen Prophetien erfüllt. So argumentierten beispielsweise Isaak ben Mose Efodi in seiner Schrift Kelimmat ha-Gojim und Jomtow Lipmann von Mühlhausen im Sefer ha-Nizzachon. Für andere jüdische Gelehrte aus dieser Zeit wie Menachem Meirivon Perpignan und Profiat Duran war Jesus ein Rabbiner, der die Einhaltung der alttestamentlichen Gebote gefordert habe.
Jesus sei ein wichtiger jüdischer Gelehrter gewesen, davon war auch Jacob Emden im 18. Jahrhundert überzeugt. Er habe sich zuerst an alle Nichtjuden gewandt und sie aufgefordert, sich zumindest an die grundlegenden Gebote Gottes zu halten. Für den im gleichen Jahrhundert lebenden jüdischen Gelehrten Moses Mendelssohn war Jesus ein außerordentlicher Lehrer mit hohen ethischen Maßstäben. Er habe aber weder Gott sein wollen noch sonst irgendwelche übernatürlichen Ansprüche gestellt.
Joseph Salvador und Heinrich Graetz beriefen sich auf frühere jüdische Interpretationen. Sie meinten, Jesus habe seine Lehren aus Ägypten und vor allem von der extremistischen jüdischen Gruppe der Essener übernommen. Diese Leute hatten ihr Zentrum nahe des Toten Meeres und waren höchstwahrscheinlich für die im 20. Jahrhundert entdeckten Schriftrollen von Qumran verantwortlich. Solche Thesen über die mutmaßliche Herkunft von Jesus werden bis heute gerne von spekulativen und esoterischen Autoren aufgegriffen, auch wenn dafür keinerlei historische Belege existieren.
Jesus sei großzügig und tolerant gewesen, glaubten viele Juden im 19. Jahrhundert. Seine Anhänger, die Christen, hätten seine Lehre umgedeutet und müssten deshalb als intolerant und dogmatisch angesehen werden. Abraham Geiger war überzeugt, Jesus sei ein linientreuer jüdischer Pharisäer gewesen, dessen Lehren später durch die gegnerischen Sadduzäer entstellt worden wären.
Im 20. Jahrhundert versuchten jüdische Gelehrte wie Martin Buber, Schalom Aschund Schalom Ben Chorin mit ihrer Interpretation von Jesus eine Brücke zum Christentum zu schlagen. Jesus war für sie nicht mehr der Feind, sondern ein gesetzestreuer Jude, der lediglich damals notwendige Reformen anmahnte. In ihren Werken stellten Marc Chagall, Reuven Rubin und andere Künstler Jesus als Juden dar.
Viele Juden stehen heute positiv zu Jesus, auch wenn sie ihn nicht als Messias, Gott oder Befreier von Sünde akzeptieren.
Michael Kotsch
Bibelschule Brake und Bibelbund