Kaum eine Frage bewegt die Gemüter mehr. Eine klare Antwort scheint kaum möglich. Ob Krankheit, Krieg oder Katastrophen – Gott scheint zu all dem Durcheinander in der Welt zu schweigen. Kann man daraus schließen, dass er gar nicht existiert? Oder will er uns ärgern? Eher nicht. Vielmehr könnte es sein, dass Gott etwas damit bezweckt, wenn es uns schlecht geht. Denn wenn er gut ist – und vieles spricht dafür –, dann verfolgt er ein großes Ziel mit uns Menschen, auch wenn der Weg dorthin manchmal schwer zu ertragen ist.
Es gibt Menschen, die klagen, ohne zu leiden. Wirklich betroffen von Unglück sind sie nicht, doch sie klagen. Und sie klagen an: „Wie kann Gott nur so viel Leid in der Welt zulassen?“ Allgemein. Ihnen geht es bestenfalls um eine sachliche Auseinandersetzung mit dieser Frage.
Doch es gibt auch die anderen. Diejenigen, die mit dem Tod eines lieben Menschen zurechtkommen müssen oder mit einer schlimmen Krankheit, Depressionen oder mit einem Bankrott ... Leidtragende klagen aus gutem (oder aus bösem) Grund. Manche verbittern und wollen nichts mehr von Gott wissen, der sie anscheinend im Stich gelassen hat.
Und wiederum andere leiden, ohne zu klagen.
„Warum lässt Gott Leid zu?“, ist eine uralte, nagende Frage. Und sie ist berechtigt – ganz gleich, aus welcher Lebenslage heraus sie gestellt wird.
Obwohl er unschuldig war, hatte man Jesus Christus wie einen Verbrecher gekreuzigt. In seiner Pein bringt er selbst diese Frage hervor. Jesus schreit: Warum? – „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,46) Sein exemplarisches „Warum“ deutet darauf hin, dass das maximale Leid die Trennung von Gott ist.
Ein Mensch von Gott verlassen – das gab es zuvor noch nie. Den umgekehrten Fall dagegen millionenfach, dass nämlich Menschen Gott verlassen. Die Propheten vor Christus haben stets vor einem Abfall von Gott und dem damit verbundenen Unheil gewarnt (Jeremia 2,13; Jesaja 1,4-5; Hesekiel 18,30-32; Hosea 13,9 und viele mehr). Menschen damals wie heute aber wollen unabhängig von ihrem Schöpfer leben. Während sie sich von Gott abwenden, laufen sie irgendwelchen Trugbildern hinterher. Doch wer sich von der Lichtquelle entfernt, landet im Dunkeln, wer sich von der Wärmequelle entfernt, in der Kälte.
Im Garten Eden, den Gott als Lebensraum für die ersten Menschen geschaffen hatte, gab es noch kein Leid. Im Himmel wird es kein Leid mehr geben. In der Gegenwart allerdings gibt es all dieses Elend, Not und Verzweiflung. Der Sündenfall (1. Mose 3) hat die gesamte Schöpfung beeinflusst. Leid hat etwas mit Sünde zu tun – und zwar generell, nicht aber unbedingt individuell. Das heißt: Man darf einem Kranken nicht vorhalten: „Wahrscheinlich ist das die Strafe für irgendeine verborgene Sünde in deinem Leben ...“ Nein, allgemein ist Leid die Folge der Abkehr des Menschen von Gott.
Was der Prophet Jeremia dem Volk Israel sagt, lässt sich auf die Menschheit als Ganze übertragen: „Dich trifft die Strafe für deine eigene Bosheit. Du hast dich von mir abgewandt, und das fällt jetzt auf dich zurück. Sieh doch ein, wie böse und bitter es ist, den Herrn, deinen Gott, zu verlassen. Du hast keine Ehrfurcht vor mir, deinem Gott. – So lautet der Ausspruch von Gott, dem Herrn Zebaot.“ (Jeremia 2,19)
Verzweiflung kann einen dazu treiben, Gott eine Absage zu erteilen und fortan gottlos zu leben. Dadurch wird das Problem allerdings noch verstärkt. Denn die schwierigen Umstände bleiben und hinzukommt, dass einen dann keiner mehr begründet trösten oder einem Hoffnung vermitteln kann; eine Hoffnung nämlich, die über das irdische Leben hinausreicht.
Es ist erschütternd, von dem Leiden Hiobs in der Bibel zu lesen, von seinen beklagenswerten Verlusten, den vielen „Hiobsbotschaften“, die ihn erreicht hatten. Die Lage war so aussichtslos, dass seine Frau ihm riet: „Verfluche endlich Gott, sodass du stirbst!“ (Hiob 2,9) Das ist eine Art, wie sich Leid auswirken kann: Man reagiert, indem man resigniert und sich aus Enttäuschung von Gott abwendet. Auf diese Weise kann Leid Gott und Mensch auseinanderbringen.
Eine andere von Leid hervorgerufene Reaktion aber ist das Gegenteil, nämlich, dass es einen in Gottes Arme treibt. Da ging es einem Menschen so gut, dass er sich nie veranlasst sah, nach Gott zu fragen. Wozu? Er hatte doch (vermeintlich) alles im Griff. Doch dann ist etwas Tragisches passiert. Der Betroffene beginnt aus seiner Not heraus zu beten und macht dabei die Erfahrung, wie freundlich Gott ist (Psalm 34,9; 1. Chronik 16,34; 1. Petrus 2,3).
Wer „Hiobs Botschaft“ liest, der entdeckt übrigens, dass zwar seine Theologie erschüttert wurde, nicht aber sein Glaube an Gott. Dieser gewann vielmehr an Tiefe.
Den Christen in Korinth schreibt der Apostel Paulus: „Denn eine solche gottgewollte Traurigkeit bewirkt eine Änderung des Lebens. Die führt zur Rettung, und man bereut sie nicht.“ (2. Korinther 7,10) Das heißt nicht, dass Gott jede „Traurigkeit“ verursacht – wohl aber, dass er sie mitunter gutheißt und benutzen kann. Heftige Lebenssituationen sind durchaus geeignet, Menschen in Gottes Nähe zu bringen.
An die Römer gerichtet hebt Paulus Gottes Großzügigkeit hervor: „Er hat ja seinen eigenen Sohn nicht verschont. Vielmehr hat er ihn für uns alle in den Tod gegeben. Wenn er uns aber seinen Sohn geschenkt hat, wird er uns dann nicht auch alles andere schenken?“ (Römer 8,32) Mit anderen Worten: Wer mit den Millionen um sich wirft, der wird nicht mit dem Cent geizen. Wer mit dem Evangelium von Jesus Christus seine ganze Liebe unter Beweis gestellt hat (Johannes 3,16), der liebt uns wirklich.
Wenige Verse zuvor heißt es: „Wir wissen aber: Denen, die Gott lieben, dient alles zum Guten. Es sind die Menschen, die er nach seinem Plan berufen hat.“ (Römer 8,28) Alles, was einem Menschen, der Gott (zurück-)liebt, widerfährt, dient zu seinem Besten. Natürlich sieht manches schlecht aus, es schmeckt schlecht, es fühlt sich schlecht an und es ist auch schlecht. Aber die Bibel sagt hier: Es wird uns dennoch zum Guten dienen. Dienen – das heißt, Leid und Unglück sind nicht unsere tyrannischen Herrscher, sondern unsere Diener. Der Schmerz, die Einsamkeit usw. sollen uns nicht zerstören, sondern uns helfen, Gott näher zu kommen.
Jesus half einmal einem Mann auf die Beine, der zuvor 38 Jahre lang bewegungsunfähig war. Dann folgt ein bemerkenswertes Statement; Jesus trifft den Geheilten im Tempel wieder und sagt ihm: „Du bist gesund geworden. Lade keine Schuld mehr auf dich, damit dir nichts Schlimmeres geschieht!“ (Johannes 5,14). Gibt es Schlimmeres, als 38 Jahre lang schwer krank zu sein? Ja, gibt es. Nämlich eine Ewigkeit in der Gottesferne verbringen zu müssen. Das Größte ist, wenn ein Mensch sich zu Jesus Christus bekehrt und so das ewige Leben findet, das Schlimmste dagegen ist die Hölle. Manchmal lässt Gott Leid zu, um uns vor dem Schlimmeren zu bewahren. Wenn jemand sich in seiner Not an Gott wendet, darf er erwarten, dass Gott ihn erretten wird (Psalm 50,15).
Unzählige haben genau das erlebt.
Angenommen, ein Kleinkind läuft auf die Straße, ohne zu merken, dass da ein 7,5-Tonner auf es zurast. Der Vater steht daneben. Er würde doch alles versuchen, um sein Kind vor der Katastrophe zu bewahren. Er würde es zurückzerren, auch wenn er ihm dabei die Klamotten kaputtrisse. Er würde es von der Straße reißen, selbst wenn er ihm dabei den Arm auskugelte. Jemand könnte vorschnell sagen: „Welch grausamer Vater, der seinem Kind den Arm auskugelt!“ Aber man muss hier den Gesamtkontext sehen ... – Wenn sich durch Leid ausgelöst Menschen hilfesuchend an Jesus Christus wenden und er sie aus der Gefahrenzone der Sünde errettet, dann sind sie vor dem noch viel Schlimmeren, der Gottesferne, bewahrt worden.
Manchmal bemitleiden wir die falschen: Menschen mit Behinderung etwa, die äußerlich zwar beeinträchtigt sind, aber innerlich glücklich. Sie haben Jesus als ihren Freund und Helfer in der Not kennengelernt.
Auf der anderen Seite beneiden wir auch manchmal die falschen: Leute, die äußerlich schön und reich, innerlich aber völlig ausgebrannt sind. Sie sind immerzu auf der Suche nach mehr, jagen dem Bild von einem Leben nach, das sie kaum erreichen werden. Deshalb sind sie nie zufrieden. Aber äußerst erschöpft.
Stellen wir uns vor, so jemand war früher weitestgehend sorgenfrei unterwegs. Aus heiterem Himmel trifft das Leid diese Person, sie ist vom Leben enttäuscht. Wenn sie sich nun besinnt und aus ihrer Not heraus betet und Zuflucht bei Jesus Christus sucht, dann hätte das Leid für sie die alles entscheidende Umkehr bewirkt. Dieser Mensch findet im Vertrauen auf Jesus Christus neues, ewiges Leben. Dann kann er sagen: „Mein bitteres Leid hat mir Frieden gebracht.“ (Jesaja 38,17)
Markus Wäsch
Stiftung der Brüdergemeinden
