Die Zehn Gebote können nicht als entweder evangelisch oder katholisch bezeichnet werden. An zwei Stellen in der Bibel werden die Zehn Gebote aufgelistet, im 2. Buch Mose (20,1-17) und im 5. Buch Mose (5,6-21). Damit sind sie Teil der Heiligen Schrift der Juden und zentraler Bestand des jüdischen Glaubens. Mit dem gesamten Alten Testament wurden sie sowohl von katholischen als auch evangelischen und ebenso allen anderen Christen übernommen.
Die Zehn Gebote können nicht einer einzigen christliche Konfession, wie evangelisch oder katholisch, zugeordnet werden. Sie waren schon lange vor dem Entstehen des Christentums Teil des jüdischen Glaubens. In der Heiligen Schrift der Juden, welche die Christen „Altes Testament“ nennen, werden sie an zwei Stellen erwähnt. Zum ersten Mal genannt werden sie in der Erzählung, wie das Volk Israel mit Gottes Hilfe durch Mose aus Ägypten geführt wurde (2. Mose 20,1-17). Dort wird berichtet, dass Gott selbst dem Volk die Gebote gab. Außerdem werden sie in einer Rede von Mose noch einmal wiedergegeben (5. Mose 5,6-21). Auch hier wird Gott selbst als Urheber der Gebote genannt; der ganze Vorgang wird hier als „Bundesschluss“ bezeichnet. Die Zehn Gebote wurden von Gott selbst auf zwei Steintafeln geschrieben, die Mose dann vom Berg heruntertrug. Aus Wut über die Herstellung und Anbetung eines goldenen Kalbs hat Mose die Steintafeln zerbrochen. Nach einer weiteren Begegnung mit Gott auf dem Berg wurden die Steintafeln erneut hergestellt. Sie wurden später in der Bundeslade aufbewahrt.
Obwohl die Juden und alle christlichen Konfessionen von Zehn Geboten sprechen, ist die Unterteilung und Zählung nicht bei allen gleich. Immer gleich ist jedoch die Reihenfolge: Am Anfang stellt sich Gott als derjenige vor, der das Volk aus Ägypten befreit hat. Dann folgen die Aussagen, dass man neben Gott keine anderen Götter haben darf und sich kein Bild von Gott machen soll. Man soll außerdem keine anderen Götter anbeten und verehren. Auch darf der Name Gottes nicht missbraucht werden. Dann folgt das Gebot, den Sabbat als Tag der Ruhe einzuhalten. Im nächsten Gebot geht es darum, Vater und Mutter zu ehren und zu versorgen. Die folgenden vier Gebote sind sehr knapp gehalten: Du sollst nicht töten, nicht ehebrechen, nicht stehlen und nichts Falsches über deinen Nächsten sagen. Zum Abschluss wird geboten, dass man weder Haus, Frau, Sklave, Sklavin, Rind, Esel oder sonst irgendetwas von seinem Nächsten begehren soll.
Neben den beiden Listen der Zehn Gebote gibt es viele Referenzen im ganzen Alten Testament auf einzelne Gebote. Häufig findet sich die Warnung davor, den Sabbat zu entheiligen (z. B. Nehemia 13,17; Jesaja 58,13, Ezechiel 20,24). Auch das Thema Ehebruch wird an einigen Stellen aufgegriffen (z. B. Jeremia 23,10+14, Hosea 4,13+14). Besonders die Propheten beklagen die Abkehr des Volkes von den Geboten Gottes (z. B. Jeremia 7,9; Hosea 4,2). Im Buch der Sprichwörter gibt es eine Vielzahl von Hinweisen auf die Gebote und deren Übertretung: Ehebruch (z. B. Sprüche 2,16-19 und Sprüche 6,26), Lüge (z. B. Sprüche 4,24 und 6,17) und Mord (z. B. Sprüche 1,11-12 und Sprüche 6,17).
Auch in den Evangelien gibt es einige Stellen, die sich auf die Zehn Gebote als Ganzes oder auf einzelne Gebote beziehen. An einer Stelle zählt Jesus in einer Antwort auf eine Frage beispielhaft fünf Gebote auf (Lukas 18,20). In der sogenannten Bergpredigt (Matthäus 5,1–7,29) benennt Jesus zwei Gebote aus den Zehn Geboten. Auf sie bezugnehmend formuliert er deutlich anspruchsvollere ethische Anforderungen (in Matthäus 5,21-26 und Matthäus 5,27-32). Wie Jesus das Sabbatgebot versteht und damit umgeht, ist häufig Auslöser für Kontroversen mit der Gruppe der Pharisäer (z. B. Matthäus 12,9-14, Markus 2,23-28, Johannes 5,6-18). Im Gegenzug wirft Jesus den Pharisäern vor, dass sie das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, außer Kraft setzen (Matthäus 15,3-6).
Auch an anderen Stellen im Neuen Testament gibt es Bezüge zu den Zehn Geboten. Paulus schreibt im Brief an die Römer über gesetzesgläubige Juden, dass sie die Gebote predigen, sie aber selbst nicht einhalten. Als konkrete Beispiele nennt er zwei der Zehn Gebote (Römer 2,21-22). An einer anderen Stelle zählt Paulus einige Gebote auf und führt aus, dass alle Gebote im Gebot der Nächstenliebe zusammengefasst sind (Römer 13,9-10). Im Jakobusbrief heißt es, wer „ein einziges Gebot übertritt, hat gegen alle Gebote verstoßen“. Als Begründung wird genannt, dass Gott sowohl den Ehebruch untersagt als auch das Morden. Wer die Ehe nicht bricht, aber jemanden tötet, der hat gegen das (ganze) Gesetz verstoßen (Jakobus 2,10-11).
Die Zehn Gebote spielen eine zentrale Rolle in der Glaubensunterweisung, wie sie Martin Luther vorgegeben hat. Im Kleinen und Großen Katechismus stehen die Zehn Gebote am Anfang der Unterweisungen. Im Kleinen Katechismus steht zu jedem der Gebote nur eine kurze Erklärung über ihre Bedeutung. Im Großen stehen dagegen ausführliche Abhandlungen zu jedem einzelnen Gebot. Bis heute werden heranwachsende Menschen in evangelischen und freikirchlichen Gemeinden in der Regel in den Zehn Geboten unterwiesen.
In den meisten Katechismen, die über die Jahrhunderte in der Katholischen Kirche geschrieben und verwendet wurden, spielen die Zehn Gebote ebenfalls eine zentrale Rolle. Im Weltkatechismus, der 1992 veröffentlich wurde, sind sie erst im dritten Hauptteil aufgeführt. In der Verkündigung zum Thema Sünde und über eine moralische Lebensführung haben sie eine große Rolle gespielt. Sie wurden und werden in der Vorbereitung der Beichte als Hilfsmittel zur Gewissenserforschung verwendet. Viele dieser sogenannten Beichtspiegel nehmen die Zehn Gebote als Vorlage, um verschiedene Bereiche möglichen Fehlverhaltens aufzuzeigen.
Die Zehn Gebote sind also weder nur evangelisch noch katholisch, sondern bei allen Christen von zentraler Bedeutung. Bis heute spielen sie in der christlichen Unterweisung eine bedeutende Rolle und werden mit großem Gewinn überall in der weltweiten Christenheit gelesen und studiert.
Roland Abt
