Was passiert, wenn ein Christ stirbt? Kommt ein Christ dann sofort zu Jesus in den Himmel? Oder muss er quasi im „Wartezimmer“ Platz nehmen, bis das jüngste Gericht vorbei ist? Bis heute streiten sich Christen über diese Frage. Man hat in der Theologie schon fast alles vermutet, was man vermuten kann: Sofort bei Jesus sein, erst im Fegefeuer geläutert werden, ein Schlaf der Seelen bis zum Gericht, eine Vorhölle und ein Vorhimmel bis zum jüngsten Gericht ... Aber was davon stimmt?

 

Ich möchte die Frage in drei Schritten beantworten: Erstens, warum diese Frage immer wieder auftaucht. Zweitens, warum ich diese Frage nie abschließend beantworten kann. Drittens, was uns die Bibel über das Leben nach dem Tod sagt.

 

Erstens: Diese Frage taucht immer wieder auf, weil die Bibel dazu keine eindeutigen Aussagen macht. Das Alte Testament erzählt fast gar nichts über das Leben nach dem Tod. Es berichtet nur, dass die Glaubensväter (wie Abraham) oder die Könige „sich zu ihren Vätern legen“. Was genau im Jenseits passiert, interessiert dabei nicht. Daniel wird aufgefordert zu ruhen, bis die Endzeit beginnt (Daniel 12,13). Der Tod wird im Alten Testament also vor allem als Schlaf beschrieben.

 

Im Neuen Testament ist es ganz unterschiedlich. Auch hier begegnet die Rede vom Liegen, aber auch vom Auferstehen der Toten beim Kommen Jesu oder beim Jüngsten Gericht (Offenbarung 20,4–6.11–13). Der reiche Mann und der arme Lazarus scheinen dagegen sofort in die ewige Qual oder in den Himmel zu kommen (Lukas 16,23), genauso wie auch der Schächer am Kreuz sofort ins Paradies kommt (Lukas 23,43). Man könnte die Liste noch länger machen. Aber es ist deutlich: Die Bibel macht keine eindeutigen Angaben, wie genau und in welcher Reihenfolge es für die Christen nach dem Tod weitergeht.

 

Deshalb kann diese Frage zweitens nicht eindeutig beantwortet werden. Das Leben nach dem Tod übersteigt unser Denkvermögen total. Allein schon die Ankündigung: „Es soll hinfort keine Zeit mehr sein“ (Offenbarung 10,6) zeigt, dass wir hier mit unserem Denken an unüberwindliche Grenzen stoßen. Denn wir können uns Ereignisse nur als zeitliches Nacheinander vorstellen. Aber in Gottes Welt läuft die Zeit offenbar anders. Wenn die Bibel also von Ereignissen nach unserem Tod redet, dann ist es, als ob sie einem Blinden die Farbe erklärt. Sie muss es mit Bildern erklären, die aber nur begrenzt das ausdrücken können, was gemeint ist. Deshalb denke ich, wir sollten uns mit Spekulationen über die Details nach dem Tod zurückhalten und uns mit dem begnügen, was uns die Bibel gewiss sagt.

 

Was können Christen also drittens mit Gewissheit glauben? Christen können mit Gewissheit glauben, dass der Tod nicht die Person auslöscht, sondern dass es weitergeht. Aber der Tod ist der Moment, an dem die Entscheidung über das Leben nach dem Tod endgültig feststeht. Jeder, der bis dahin an Jesus Christus geglaubt hat, der wird ewig bei Jesus leben (Johannes 11,25). Wie genau das dann abläuft – da lasse ich mich gerne überraschen.

 

 

Benjamin Hummel
Albrecht-Bengel-Haus (https://www.bengelhaus.de/)

 

(Erschien ursprünglich in Theologische Orientierung No. 205, S. 25 mit dem Titel "Bin ich nach dem Tod sofort bei Jesus?")