Hat Jesus Christus meditiert?

Kurze Antwort

Jesus meditierte in dem Sinne, dass er sich immer wieder zum Gebet zurückzog (Lukas 5,16; Lukas 6,12). Gebet verstand er dabei allerdings als Gespräch mit seinem himmlischen Vater als Gegenüber (Lukas 10,21; Lukas 11,2) und nicht als Selbstversenkung.

Meditation und Gebet 

Die Evangelien berichten mehrfach, dass Jesus sich zurückzog, um zu beten (Lukas 5,16). Es kam vor, dass er mit seinen Jüngern zusammen Zeit im Gebet verbrachte (Lukas 9,28) oder aber er betete für sich allein (Markus 1,35; Lukas 9,18). So eine Zeit des Gebets konnte sogar mal eine ganze Nacht in Anspruch nehmen (Lukas 6,12). 

Besonderes Kennzeichen dieser Gebetszeiten war, dass Jesus beim Gebet mit seinem himmlischen Vater als Gegenüber sprach. Gebet war Ausdruck seiner Gottesbeziehung. So blieb Jesus als Beter nicht bei sich allein. Nicht einmal als Sohn Gottes versenkte er sich in sich selbst. Vielmehr führte ihn das Gebet von sich selbst weg in die Beziehung zu Gott als Gegenüber. Dieser Beziehungscharakter des Gebets zeigt sich auch dadurch, dass Jesus Gott als „Vater“ ansprach (Lukas 10,21; Johannes 11,41-42). Genauso lehrte Jesus auch seine Jünger, Gott als „Vater“ anzureden (Lukas 11,2). 

Man könnte sagen: Jesus verstand Gebet als ein in gewissem Sinne normales Gespräch zwischen zwei Personen. Entsprechend verglich er das Bitten im Gebet mit den Bitten eines Mannes an einen Freund oder denen eines Kindes an seinen Vater (Lukas 11,5-13). Deshalb bedarf es auch keiner besonderen Gebetstechniken. Gott lässt sich nicht durch Mantras manipulieren oder durch Liturgien beeindrucken. Wer durch Jesus ein Kind Gottes geworden ist, darf mit Gott ungezwungen sprechen wie mit einem Vater. Jesus betonte seinen Jüngern gegenüber extra, dass der Vater sie lieb hat (Johannes 16,26-27). Entsprechend sind von Jesus selbst freie Gebete überliefert (Matthäus 11,25-26; Matthäus 26,39; Johannes 12,27-28; Johannes 17). 

  

Beziehung als Grundlage des Gebets 

So war Gebet bei Jesus letztlich Ausdruck seiner vertrauten Beziehung zu seinem himmlischen Vater. Mit ihm besprach er sich gerade auch an besonderen Momenten seines Lebens und Dienstes. Vor seinem Dienstantritt stand eine Fastenzeit in der Wüste (bei der das Gebet allerdings nicht ausdrücklich erwähnt wird, Matthäus 4,1). Weitere Gebetszeiten finden sich vor der Berufung der zwölf Jünger (Lukas 6,12-13) und vor seiner Verhaftung (Johannes 17; Matthäus 26,36-44). Aber auch sonst war es natürlich für Jesus, sich Zeit für das Gespräch mit seinem himmlischen Vater zu nehmen (Lukas 5,16, Lukas 9,18.28). Es kam sogar vor, dass er sich ganz unvermittelt im Gespräch mit anderen an Gott wandte (Matthäus 11,25-26, Johannes 12,27-28) wie an einen Gesprächspartner, von dem er auch wusste, dass er dabei war.  

 

Das Vaterunser 

Besondern Aufschluss darüber, wie Jesus Gebet verstand, bietet das Vaterunser. Leider gehört es zu den Bibeltexten, denen über die Jahrhunderte am meisten Gewalt angetan wurde. Das Vaterunser war nämlich ursprünglich nicht als Gebet zum Rezitieren gedacht, sondern als eine Art Mustergebet. Entsprechend leitete Jesus das Vaterunser auch nicht ein mit „Das sollt ihr beten“, sondern mit „So sollt ihr beten 

Gerade vorher hatte Jesus seinen Jüngern erklärt, wie er sich Gebet nicht vorstellte. Dem setzte er nun als Kontrast das Vaterunser entgegen. Zum einen sollte das Vaterunser den Jüngern zeigen, wie knapp ein Gebet sein kann. Sie mussten nicht extra viele Worte machen (Matthäus 6,7). Ein häufiges Rezitieren des Vaterunsers geht damit völlig an seinem eigentlichen Anliegen vorbei. Es ging Jesus ja gerade nicht um den Wortlaut wie um eine magische Formel, sondern um die Stoßrichtung: So zeigt das Vaterunser schon mit der Anrede Gottes, dass Gebet ein Gespräch mit dem himmlischen Vater ist. Wie in einem normalen Gespräch werden dann Themen besprochen, die die beiden Gesprächspartner bewegen. Das Vaterunser beginnt mit den Anliegen Gottes („Dein Name soll geheiligt werden. Dein Reich soll kommen. Dein Wille soll geschehen. Wie er im Himmel geschieht, so soll er auch auf der Erde Wirklichkeit werden“; Matthäus 6,9-10) und geht dann weiter mit menschlichen Anliegen („Gib uns heute unser tägliches Brot“; Matthäus 6,11). Und schließlich kommt es auf die Beziehung der Betenden zu Gott zu sprechen („Und vergib uns unsere Schuld so wie wir denen vergeben haben, die an uns schuldig geworden sind. Und stell uns nicht auf die Probe, sondern rette uns vor dem Bösen“; Matthäus 6,11-13). 

Indem das Vaterunser die wechselseitigen Anliegen aufgreift, veranschaulicht es noch einmal, dass Jesus Gebet als Dialog und als Ausdruck einer Gottesbeziehung verstand. 

 

Hat Jesus nun meditiert? 

Wer Meditation als Zeit der mystischen Versenkung versteht, in der man bestimmte Techniken wie Sitzhaltung oder Atemtechnik nutzt, sich seines Geistes entleert und sich mit einer unpersönlichen Weltseele vereinigt, muss diese Frage verneinen. Wer aber Meditation als eine Zeit in Zurückgezogenheit im Gespräch mit Gott versteht, wird diese Frage bejahen. 

 

Holger S. Hinkelmann, Theologe

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Geändert am: 03.02.2024

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